Mord Im Garten Eden
möglichen Permutationen des Namens Eve Miller in ein paar Verbrechensdatenbanken eingetippt. Also, zuerst Eve Miller, dann Eva Miller, dann Ava Miller und so weiter.«
Rina spürte ein flaues Gefühl im Magen. »Wird sie wegen irgendwas gesucht?«
Decker holte Luft und stieß sie aus. »Nach Eve Miller wird nicht gesucht, aber nach Ava Müller.«
»Ava Müller.« Rina biss sich auf die Lippen. »Ist sie Deutsche?«
»Ja, Ava Müller ist Deutsche, und keine angenehme. Im Zweiten Weltkrieg war Ava Müller Aufseherin der Gestapo im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück. Ich habe mir die Freiheit genommen, beim Holocaust-Zentrum anzurufen, und mich über den Zweck des Lagers informiert. Im Großen und Ganzen gab es dort zwei Sektionen - subversive Frauen, die vom Staat interniert wurden, und Jüdinnen in Gefangenschaft. Zwischen den beiden Lagern herrschte ein drastischer Unterschied - sowohl was die Wohnbaracken und die Kleidung als auch die Behandlung und das Essen betraf. Namentlich die nichtjüdischen Häftlinge bekamen essbare Lebensmittel, wohingegen die Frauen in der jüdischen Sektion von Rübensuppe und schimmeligem Brot leben mussten. Ava arbeitete als Aufseherin in den Konzentrationslagern. Nach dem Krieg wurde sie wegen Nazi-Kriegsverbrechen gesucht, da sie persönlich für den Tod von über dreihundert Frauen verantwortlich gewesen sein soll.
»O mein Gott!«, brach es aus Rina heraus. »Ich weiß nicht, ob ich mir auch noch den Rest anhören will.« Obwohl ihr übel war, zwang sie sich dazu, weiter zuzuhören. »Erzähl weiter.«
Decker seufzte auf. »Ich habe im Zentrum nachgefragt, ob sie irgendwelche Unterlagen über den Verbleib von Ava Müller nach dem Krieg hatten. Einer der Leute vom Archiv sagte mir, dass es Ava mit falschen Papieren irgendwie gelungen war, in die USA zu kommen, und dass sie sich dort in Luft aufgelöst habe. Das war um 1949 herum.«
Er trank seinen Kaffee aus und fuhr fort: »Fünfunddreißig Jahre später - 1984 - bekam einer der Nazijäger von Simon Wiesenthal in New York einen Tipp über Müllers Aufenthaltsort. Inzwischen war sie eine liebevolle Großmutter und führte ein beschauliches Leben als Mennonitin in Indiana. Das könnte passen. Die überwiegende Mehrzahl der Mennoniten sind entweder Deutsche oder haben deutsche Vorfahren. Viele von ihnen sprechen einen Pfälzer Dialekt. Und religiöse Sekten verzeihen schnell. Außerdem neigen sie dazu, sich zu isolieren, und sie mischen sich im Allgemeinen kaum mit der säkularen Welt. Gibt es ein besseres Versteck?«
»Tut mir leid, Peter, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass die Mennoniten frühere Nazis wahllos bei sich aufnahmen.«
»Bestimmt hat Ava Müller ihnen nichts von ihrer Vergangenheit erzählt. Oder vielleicht hatte sie Verwandte bei den Mennoniten. Es gibt viele Leute, Anwesende ausgenommen, die in ihrer Verwandtschaft ein, zwei Leichen im Keller haben. Bei mir ist es mein Großonkel Ray, Mitglied des Ku-Klux-Klans in Alabama.«
Rina lächelte: »Und bei mir ist es meine Großtante Bessie, die Stalinistin. Die hat sogar noch auf ihrem Totenbett steif und fest behauptet, dass Josef es immer gut gemeint hätte und nur fehlgeleitet worden sei.«
Decker lachte laut auf, dann wurde es still im Raum. Rina versuchte, das Schweigen zu brechen, fand aber keine passenden Worte. Schließlich sagte sie: »Was könnte geschehen sein, nachdem Ava Müller entdeckt wurde?«
»Sie, ihr Ehemann und ihre Familie verließen das Konklave und tauchten wieder unter.« Decker zuckte die Achseln. »Vielleicht haben sie es diesmal in einer Stadt versucht. Wenn das stimmt, muss Avas Enkelin Eve oder wie immer sie wirklich heißen mag, um die fünf oder sechs Jahre alt gewesen sein. Falls die Familie sich in einem stadtnäheren Gebiet angesiedelt hat, wäre Eve in eine städtische Schule gegangen und hätte gelernt, mit Computern umzugehen, Auto zu fahren und so Sachen. Dieses Szenario würde auch erklären, weshalb Eve die Bibel so gut kennt - ihre frühkindliche Erziehung - und weshalb sie auch ein paar modernere Fähigkeiten besitzt.«
»Das ist alles nur Spekulation.«
»Natürlich.« Decker bemühte sich um sanfte Worte. »Aber so ließe sich einiges erklären.« Er formulierte seine Gedanken. »Angenommen, Eve wusste als kleines Mädchen nichts über die schlimme Vergangenheit ihrer Großmutter.«
Rina nickte.
»Dann mal angenommen, sie fand als Erwachsene vor ungefähr einem halben Jahr heraus, welche Vergangenheit
Weitere Kostenlose Bücher