Mord Im Garten Eden
meinte: »Und wie fändest du das?«
Rina antwortete nicht sofort. »Weiß ich nicht. Jedenfalls ist es ein schrecklicher Zustand, eine Frau zu lieben, die früher ein Monster war. Und trotzdem: Auch wenn Ava Müller jetzt vermutlich eine alte, vielleicht sogar gebrechliche Frau ist, klebt dennoch das Blut Unschuldiger an ihren Händen. Sie sollte für ihre Taten zur Verantwortung gezogen werden.«
Decker strich mit den Fingern über die Wölbung von Rinas Wangenknochen. »Vielleicht war das ja der wirkliche Grund, weshalb Eve sich an dich gewandt hat.«
»Warum?«
»Um festzustellen, ob du als Jüdin fähig wärst zu verzeihen.«
»Da gibt es nichts zu verzeihen. Eve hat nichts falsch gemacht. Sogar meine Eltern, die das Konzentrationslager überlebt haben, glauben nicht an Kollektivschuld.«
»Nicht ihr zu verzeihen, sondern ihrer Großmutter. Hättest du das tun können, wenn Eve dich darum gebeten hätte?«
Rina dachte nach und schüttelte dann langsam den Kopf. »Nein, ich hätte Ava Müller nicht verzeihen können, weil ich nicht in der Position bin, diese Vergebung zu gewähren. Die einzigen Menschen, die das tun können, sind lange tot.«
»Ich weiß. Aber es ist traurig, sich vorzustellen, dass Sarah mit dieser Bürde leben muss. Glaubst du, dass sie mit ihrem Schuldgefühl jemals Frieden schließen kann?«
»Ich betrachte Schuldgefühle nicht als Bürde«, antwortete Rina. »Für mich sind Schuldgefühle das Polizeirevier der menschlichen Seele. Nichts gegen dich, Peter, aber Polizisten können einem ganz schön auf die Nerven gehen. Überleg mal, wie schlecht wir alle wären, wenn es sie nicht gäbe.«
»Machst du etwa meinen Beruf schlecht?« Decker lachte.
»Aber überhaupt nicht. Ich bin voll des Lobes.«
»Sehr brav. Und jetzt wird geschlafen.«
Sie gab ihrem Mann einen Gutenachtkuss und starrte dann die dunkle Zimmerdecke an. Während ihre Gedanken kreisten, dachte Rina nicht an Sarah Miller, sondern an ein Verbrechen, das mehr als ein halbes Jahrhundert zurücklag, und an die Leben, die viel zu früh genommen wurden. Sie sprach ein Gebet für die Verstorbenen, und ihre Worte gaben ihr Frieden. Als sie einschlief, fragte Rina sich, ob Sarah Miller jemals Worte fände, um sich selbst Frieden zu geben.
Der Stalker
»Der Stalker« handelt von dem zweischneidigen Schwert der Vergötterung und Bewunderung. Es geht hier um einen Fall von Besessenheit und Zwangsvorstellungen, der auf entsetzliche Weise aus dem Ruder lief und schließlich sein erschreckendes Ende fand.
Es war schwierig für sie zu ergründen, warum alles so schiefgelaufen war, wo am Anfang ihre Liebe doch so wunderbar gewesen war. Die Rosen und die Bonbons, die ihr ohne einen bestimmten Anlass geschickt worden waren, die mitternächtlichen Anrufe, nur um »Ich liebe dich« zu sagen, die kleinen verliebten Briefchen in ihrem Briefkasten oder auf ihrem Schreibtisch im Büro, sein Briefpapier, immer mit teuren Düften parfümiert. Die vielen Liebesbeweise, die er ihr während der Phase der Brautwerbung geschenkt hatte, waren nun Schnee von vorgestern.
Irgendwo, vergraben unter Wut und Hass, lagen die süßen Erinnerungen. Als Julian ihr gesagt hatte, wie schön und verführerisch sie wäre, wie sehr er ihren biegsamen Körper liebte, ihre sanften Haselnussaugen und ihr seidiges, wie von Schokolade geküsstes Haar. Wie er vor seinen Freunden mit ihrem scharfen Verstand geprahlt oder ihr, nachdem sie miteinander geschlafen hatten, ins Ohr geflüstert hatte, dass er nun ganz weiche Knie habe. Das letzte Kompliment hatte immer Gekicher ausgelöst oder einen spielerischen Klaps auf seine Brust. Wie sie immer errötet war, wenn er seine Brauen gehoben und ihr sein berühmtes wölfisches Grinsen geschenkt hatte.
Der Abend seines Heiratsantrages hatte den Zenit ihrer märchenhaften Liebesbeziehung markiert. Begonnen hatte er mit einem Rolls Royce mit uniformiertem Fahrer. Der Chauffeur hatte ihr seinen Arm angeboten und sie zum Rücksitz des weißen Corniche eskortiert.
Die fabelhafteste Nacht ihres Lebens. Und noch heute, durchdrungen von endloser Verbitterung und bodenloser Feindseligkeit, war sie bereit einzuräumen, dass dieses Gefühl noch immer nachklang.
Da waren diese zwei Karten für die erste Reihe im Theater gewesen. Das Stück Der Untergang des Hauses Usher war schon seit Monaten ausverkauft gewesen. Die Frage, wie er an die Plätze gekommen war, hatte Julians geheimnisvolle und faszinierende Aura nur noch vertieft. Nach
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