Mord Im Garten Eden
nassen Schmatzer auf meiner Stirn spüren. Eine große Glocke schlug elf Uhr, und ich überlegte, Mami jetzt ihren Wein und mir selbst vielleicht eine Halbe zu besorgen. (Denn die Nacht war sehr feucht und kalt, und ich wollte mir die Knochen aufwärmen.) Danach wollte ich nach Hause und dann gleich ins Bett gehen.
Stattdessen stieß ich auf ein Mädel, das draußen spazieren ging. Sie war sehr klein und mollig und hatte ein hässliches Lächeln, aber sie sah so aus, als wollte sie meine Freundin sein. Ich kam darauf, weil sie auf mich zukam und fragte: Hallo, der Herr. Na, was macht die Kunst?
Ich antwortete: Es geht mir gut, vielen Dank der Nachfrage. Warum sind Sie so spät nachts hier draußen?
Sie begann, wie ein Pferd zu lachen, das den Kopf vor und zurück wirft und schnaubt. Ich sah winzige blaue Linien auf ihrem fetten Hals, dort, wo ihr Blut war. Es war kein hübscher Hals, ich habe schon hübsche Hälse gesehen: lange, dehnbare weiße Hälse, wie die Schwäne, die im Park über den See gleiten. Ich berührte die steife Kante meines Kragens und wartete, bis sie wieder etwas sagte. Ihr Gesicht war schmutzig, und der Ärmel ihres Kleides war ausgefranst, als hätte jemand ihn angenagt.
Sie geben mir bestimmt ein Schlückchen Gin aus, stimmt’s, mein Herr? , sagte sie. Krieg ich’n Schlückchen von Ihnen?
Da ich ohnehin Wein für Mami kaufen musste und das Mädel einen recht netten Eindruck machte, sagte ich ihm, dass ich es auf ein Schlückchen einladen wollte.
Guter Junge! , sagte das Mädel.
(Natürlich weiß ich, dass ich ein guter Junge bin, weil Mami das immer zu mir sagt. Ich strenge mich auch wirklich sehr an, ihr ein guter Junge zu sein.)
Wie heißen Sie eigentlich, mein Herr? , fragte sie.
Jack , sagte ich.
Biss’n guter Junge, Jack! , sagte das Mädel. Ich heiße Annie .
Es ist mir eine Ehre, Sie kennen zu lernen, Annie , sagte ich. Den Mädels gefällt es, wenn ich zuvorkommend zu ihnen bin. Auch Annie gefiel es, und sie lachte wieder.
Na dann los , sagte sie. Genehmigen wir uns’n Schlückchen!
Ich ging mit Annie in eine Wirtschaft und kaufte Mami ihren Portwein. Annie wollte einen Gin, und so kaufte ich ihr einen. Sie war durstig und trank das ganze Glas auf einmal leer. Ihre Art zu trinken kam mir ein wenig ordinär und vulgär vor, aber als sie mich um ein zweites Glas bat, bestellte ich ihr noch eines. Dann bat sie mich um ein drittes.
Ich habe kein Geld mehr, Annie , sagte ich.
Au weia! , meinte sie. Na gut, dann muss ich mir wohl einen anderen suchen, der mir ein Schlückchen spendiert. Die Nacht ist ziemlich kalt und feucht .
Tun Sie das nicht, Annie , sagte ich. Gehen Sie nicht . (Denn ich hatte mich inzwischen in sie verguckt.)
Also gut, mein Herr, ich will noch nicht gehen, weil du so nett zu mir warst. Aber ich bin sehr durstig . Dann lachte sie wieder.
Ich dachte, dass Mami inzwischen auch sehr durstig sein musste, deshalb beschloss ich, lieber nach Hause zu gehen. Aber Annie gefiel mir immer noch.
Ich fragte: Annie, dürfte ich Sie zum Abendessen einladen? Ich habe auch noch ein bisschen Gin zu Hause, den ich Ihnen anbieten könnte .
Annie riss den Mund auf und lächelte mich mit einem bräunlichen, verfaulten Lächeln an. Fürs Abendessen isses zu spät, Schatz, aber du kannst gern was von mir abbeißen, wenn du magst .
Ach nein, ganz lieben Dank , sagte ich, denn ich war nicht hungrig. Wie wäre es, wenn Sie dann am Freitag zum Abendessen kämen?
Na so was , sagte Annie, das wär ja echt nett .
Ich hole Sie dann hier ab, Annie .
Abgemacht, Schatz , sagte sie. Du holst mich dann hier ab .
Bis dann , sagte ich und machte mich auf den Heimweg. Den ganzen Weg nach Hause liefen mir im Nebel Ratten zwischen den Beinen herum. Die neblige Luft kam mir wie ein großer Fisch vor, der die Straße verschluckte. Ich wollte unbedingt nach Hause und eine Gutenachtgeschichte hören, bevor ich schlafen ging. Aber als ich dann nach Hause kam, schlief Mami schon. Ich stellte den Wein in den Schrank und ging ohne Gutenachtgeschichte ins Bett (weswegen ich mich ziemlich einsam fühlte).
Am nächsten Morgen erzählte ich Mami, dass ich für kommende Woche einen Gast zum Abendessen eingeladen hatte.
Und wer soll das sein? , fragte sie.
Ein Mädel , sagte ich.
Jack! Wie kommst du dazu, Mädels nach Hause zu schleppen? , schimpfte sie mit mir.
Sie wollte dich kennen lernen, Mami .
Es gehört sich nicht, Mädels nach Hause zu bringen! , schrie sie. Es gehört sich ganz und
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