Mord im Herbst: Roman (German Edition)
nannte ihren Namen: Hanna. Wallander empfand ihren Händedruck als extrem schlapp.
»Es ist Kaffee da«, sagte Evert Trulsson. »Setzen Sie sich, dann hole ich Mutter.«
Es dauerte mindestens fünfzehn Minuten, bis Evert Trulsson mit seiner Mutter Elin in die Küche zurückkehrte. Wallander und Martinsson hatten in der Zwischenzeit ihr Bestes gegeben, um mit Hanna Trulsson ins Gespräch zu kommen, aber ohne großen Erfolg. Das Einzige, was sie in diesen fünfzehn Minuten herausbekommen hatten, waren die Namen der beiden Katzen; die eine hieß Jeppe und die andere Florry.
Elin Trulsson war eine sehr alte Frau mit einem zerfurchten Gesicht. Die Falten hatten sich tief in die Haut gegraben. Wallander dachte, dass sie schön war, ein bisschen wie ein alter Baumstamm. Viele alte Menschen riefen diese Vorstellung in ihm wach. Auch das Gesicht seines Vaters war so gewesen. Es gab eine Schönheit, die nur das Alter einem Menschen verleihen konnte. Ein ganzes Leben, eingeritzt in die Falten des Gesichts.
Sie begrüßten sich. Im Gegensatz zu Hanna Trulsson drückte ihre Schwiegermutter Wallanders Hand kräftig.
»Ich höre schlecht«, sagte sie. »Auf dem linken Ohr höre ich gar nichts, auf dem rechten Ohr geht es, aber nur, wenn die Leute nicht durcheinanderreden.«
»Ich habe Mutter erklärt, warum Sie hier sind«, sagte Evert Trulsson.
Wallander beugte sich zu der alten Frau vor. Martinsson nahm einen Notizblock zur Hand.
Aber es wurde nichts notiert. Elin Trulsson hatte absolut nichts von Interesse zu berichten. Karl Eriksson und seine Frau hatten ein Leben geführt, das keine Geheimnisse zu bergen schien, und über die Familie Henander wusste Elin Trulsson auch nichts zu berichten. Wallander versuchte, noch einen Schritt in der Zeit zurückzugehen, zu Ludvig Hansson, der 1949 den Hof an Henander verkauft hatte.
»Damals habe ich noch nicht hier gewohnt«, sagte Elin Trulsson. »Ich arbeitete damals in Malmö.«
»Wie lange hatte Ludvig Hansson den Hof?«, fragte Wallander.
Elin Trulsson blickte fragend zu ihrem Sohn. Er schüttelte den Kopf.
»Die haben sicher über viele Generationen hier gewohnt«, sagte er. »Das lässt sich doch nachprüfen.«
Wallander sah ein, dass sie nicht weiterkamen. Er nickte Martinsson zu, und sie bedankten sich für den Kaffee, verabschiedeten sich mit erneutem Händeschütteln und verließen zusammen mit Evert Trulsson das Haus. Der Schneegriesel war in Regen übergegangen.
»Wenn Vater noch leben würde«, sagte Evert Trulsson, »der hatte ein unglaubliches Gedächtnis. Außerdem war er so ein bisschen ein Heimatforscher. Er hat nichts aufgeschrieben, aber er konnte besser erzählen als alle Leute hier. Heute denke ich, dass ich alles hätte auf Band aufnehmen sollen, was er erzählt hat.«
Wallander wollte gerade ins Auto steigen, als ihm noch eine Frage einfiel.
»Können Sie sich erinnern, ob es hier in der Gegend einmal Fälle von vermissten Personen gegeben hat? In Ihrer Zeit oder früher. Darüber reden die Leute ja, über Menschen, deren Verschwinden Rätsel aufgibt.«
Evert Trulsson dachte nach, bevor er antwortete.
»Mitte der Fünfzigerjahre ist hier allerdings mal ein Mädchen verschwunden, ein Teenager. Niemand weiß, was aus ihr geworden ist. Vielleicht hat sie sich umgebracht oder ist ausgerissen. Jedenfalls ist sie nicht wieder aufgetaucht. Sie war vierzehn, fünfzehn Jahre alt. Elin hieß sie, genau wie Mutter. Aber sonst weiß ich von niemandem.«
Wallander und Martinsson fuhren zurück nach Ystad.
»Jetzt unternehmen wir nichts mehr«, sagte Wallander. »Nicht bevor die Gerichtsmedizin sich geäußert hat. Wir können nur hoffen, dass es sich trotz allem als ein natürlicher Tod herausstellt. Dann genügt es, dass wir versuchen, die Person zu identifizieren. Und wenn uns das nicht gelingt, ist es nicht so dramatisch.«
»Es ist klar, dass es sich um ein Verbrechen handelt«, sagte Martinsson. »Davon abgesehen bin ich deiner Meinung. Jetzt warten wir ab.«
Sie kehrten nach Ystad zurück und nahmen sich andere Arbeit vor. Einige Tage später, am Freitag, dem 1. November, brach ein Schneeunwetter über Schonen herein. Der Verkehr kam zum Erliegen, alle verfügbaren Polizeikräfte wurden zur Bewältigung der Lage eingesetzt. Am Nachmittag des folgenden Tages hörte der Schneefall auf. Am Sonntag regnete es. Der Schnee begann zu schmelzen.
Am Montagmorgen, dem 4. November, gingen Wallander und Linda gemeinsam zum Polizeipräsidium. Sie waren
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