Mord im Herbst: Roman (German Edition)
kaum durch die Anmeldung gekommen, als Martinsson ihnen auf dem Gang entgegenstürmte. In der Hand hielt er einige Schriftstücke.
Wallander sah sofort, dass sie vom Gerichtsmedizinischen Institut in Lund kamen.
13.
Stina Hurlén und ihre Kollegen in Lund hatten ganze Arbeit geleistet. Sie benötigten zwar noch mehr Zeit, um das Skelett der Unbekannten im Detail zu untersuchen, doch die Ergebnisse, die sie bereits jetzt gesichert vorlegen konnten, halfen Wallander und seinen Kollegen weiter. Zunächst bestätigten die Gerichtsmediziner, dass wirklich ein Mord begangen worden war. Die Frau war keines natürlichen Todes gestorben. Ihr Skelett wies genau die Art von Verletzung auf, die bei Menschen, die erhängt worden waren, unweigerlich auftritt. Der Bruch der Nackenwirbel hatte den Tod herbeigeführt. Wallander kommentierte dies mit der finsteren Bemerkung, es sei zwar üblich, dass Selbstmörder sich erhängten, nicht jedoch, dass sie sich selbst abschnitten und in einer Grube in ihrem eigenen oder einem fremden Garten verbuddelten.
Sie erfuhren auch, dass die Schätzung des Alters der Frau auf fünfzig Jahre ziemlich genau zutraf. Das Skelett der Frau wies kaum Verschleißspuren auf. Mit anderen Worten bedeutete dies, dass die Person im Grab kaum harte körperliche Arbeit geleistet hatte.
Es war jedoch die letzte Information im Bericht, die Wallander und seinen Kollegen einen konkreten Anhaltspunkt gab, wie ihn Kriminalbeamte in einer Verbrechensermittlung suchen.
Die Frau hatte zwischen fünfzig und siebzig Jahre in dem Grab gelegen. Wie die Ärzte und die Experten zu dieser Zeitangabe gelangt waren, verstand Wallander allerdings nicht, aber er verließ sich darauf. Gerichtsmediziner irrten sich selten.
Wallander nahm Martinsson und Linda mit in sein Büro, wo sie sich um den Schreibtisch setzten. Linda hatte eigentlich nichts mit dem Fall zu tun, ging aber aus Neugier mit. Und Wallander hatte ihre spontanen Kommentare zu schätzen gelernt. Manchmal äußerte sie Überlegungen, die sich bald als wichtig erwiesen.
»Die Zeit«, sagte Wallander, »was bedeutet sie für diesen Fall?«
»Sie ist also zwischen 1930 und 1950 gestorben«, sagte Martinsson. »Das macht es leichter und schwieriger zugleich. Leichter, weil wir nur in einer begrenzten Zeit zu suchen brauchen. Schwieriger, weil es so weit zurückliegt.«
Wallander lächelte.
»Das hast du schön gesagt«, meinte er. »Das ist neu. ›Wir brauchen nur in einer begrenzten Zeit zu suchen.‹ In der Zeit suchen. Du solltest in einem anderen Leben vielleicht Dichter werden.«
Wallander beugte sich mit frischer Energie über den Schreibtisch. Jetzt hatten sie etwas in der Hand. Sie hatten einen Anhaltspunkt.
»Wir werden einiges zu entwirren haben«, sagte er. »Wir müssen in verstaubten Papieren graben. Was auch geschehen sein mag, es ist geschehen, bevor wir auf der Welt waren, und du, Linda, erst recht. Aber es fängt an, mich zu interessieren, wer diese Frau war und was ihr widerfahren ist.«
»Ich rechne im Kopf nach«, sagte Linda. »Nehmen wir an, sie wäre 1940 ermordet worden, nur um in dem zeitlichen Bogen die Mitte zu wählen, und stellen wir uns vor, der Täter war ein Erwachsener, sagen wir dreißig Jahre alt, dann suchen wir jemanden, der jetzt neunzig Jahre alt ist. Ein neunzigjähriger Mörder. Und er kann genauso gut über hundert sein. Was vermutlich bedeutet, dass er schon lange tot ist.«
»Richtig«, sagte Wallander. »Aber wir hören jetzt nicht auf, nur weil ein Mörder vermutlich längst tot ist. Zunächst suchen wir die Antwort auf die Frage, wer diese Frau war. Es kann Verwandte geben, vielleicht Kinder, die erleichtert sind, wenn sie erfahren, was passiert ist.«
»Wir werden zu archäologischen Polizisten«, sagte Martinsson. »Wir werden ja sehen, welche Priorität Liza dem, was wir hier tun, einräumt.«
Es gab, wie Wallander vorausgesehen hatte, gar keine. Liza Holgersson sah natürlich ein, dass ein Skelettfund untersucht werden musste. Aber sie konnte keine weiteren Beamten abstellen, sie hatte schon allzu viele Ermittlungen, die zu Ende geführt werden mussten.
»Die Statistiker des Reichskriminalamts sitzen mir im Nacken«, seufzte sie. »Wir müssen zeigen, dass unsere Ermittlungen Erfolg haben. Es reicht nicht mehr, dass wir Berichte über alle Ermittlungen schreiben, die wir als aufgeklärt zu den Akten legen können.«
Martinsson und Wallander horchten auf. Wallander ahnte, dass Liza Holgersson
Weitere Kostenlose Bücher