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Mord im Herbst: Roman (German Edition)

Mord im Herbst: Roman (German Edition)

Titel: Mord im Herbst: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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die Tür und bat Wallander in eine Seniorenwohnung, die in ihrer Kargheit erschreckend wirkte. Wallander hatte das Gefühl, ins Vorzimmer des Todes einzutreten. Die Wohnung bestand aus zwei Zimmern. Durch eine halb geöffnete Tür konnte Wallander eine alte Frau sehen, die auf einem Bett ruhte. Mit zitternden Händen goss Simon Larsson Kaffee ein. Wallander war beklommen zumute. Es kam ihm vor, als sähe er sich selbst in einigen Jahrzehnten vor sich. Was er sah, gefiel ihm nicht. Er setzte sich in einen abgewetzten Sessel. Sofort sprang eine Katze auf seinen Schoß. Wallander scheuchte sie nicht fort. Er mochte lieber Hunde, hatte aber nichts dagegen, dass Katzen ihm dann und wann ihre Aufmerksamkeit erwiesen.
    Simon Larsson setzte sich auf einen Küchenstuhl dicht neben ihn.
    »Ich höre schlecht. Aber ich sehe noch gut. Dass ich die Leute sehen will, mit denen ich rede, hat sicher mit all den Jahren bei der Polizei zu tun.«
    »Mir geht es auch so«, sagte Wallander. »Es ist eine Angewohnheit, die aber auch ihr Gutes hat. Was wolltest du erzählen?«
    Simon Larsson holte tief Luft, als müsste er Anlauf nehmen.
    »Ich bin im August 1917 geboren«, sagte er. »Es war ein warmer Sommer, bevor der Krieg endete. 1937 fing ich beim Amtsanwalt in Lund an zu arbeiten, und in den Sechzigerjahren, als die Polizei verstaatlicht wurde, kam ich nach Ystad. Ich arbeitete damals ein paar Jahre hier in Tomelilla. Es wurde damals noch nicht so genau genommen mit den Regierungsbezirken, manchmal halfen wir in Ystad aus, und manchmal waren sie hier. Aber irgendwann während des Krieges fand man eines Tages in der Gegend von Löderup einen alten Wagen und ein Pferd an einer Straße.
    »Ein Pferd? Und ein Wagen? Ich verstehe nicht ganz.«
    »Das wirst du schon noch, wenn du mich nicht unterbrichst. Es war im Herbst. Jemand rief hier in Tomelilla an. Ein Mann aus Löderup. Er hätte in Ystad anrufen sollen, aber er rief im Haus des Polizeikommissariats hier in Tomelilla an. Er wollte berichten, dass er ein Pferd mit einem Wagen beobachtet hatte, das da auf einer Straße entlangzockelte, ohne dass Leute im Wagen oder auf dem Kutschbock saßen. Ich war an dem Morgen allein im Büro. Weil ich damals gerade den Führerschein gemacht hatte, rief ich nicht in Ystad an, sondern fuhr selbst nach Löderup. Und tatsächlich war da ein Pferd vor einem Wagen ohne Leute. Man konnte sehen, dass die Leute, die sonst in dem Wagen wohnten, das waren, was man damals Zigeuner nannte. Heute nennt man sie Reisende, was entschieden anständiger ist. Aber sie waren weg. Das Ganze war seltsam. Das Pferd und der Wagen waren dort am frühen Morgen einfach aufgetaucht. Sieben Tage zuvor hatte man sie in Kåseberga gesehen, es waren ein Mann und eine Frau, beide um die fünfzig. Er war Scheren- und Messerschleifer, sie waren freundlich und zuverlässig, und dann plötzlich waren sie verschwunden.«
    »Sind sie nie wieder aufgetaucht?«
    »Meines Wissens nicht. Ich dachte, dass dir dies vielleicht helfen könnte.«
    »Absolut. Was du da erzählst, ist äußerst interessant. Sonderbar nur, dass niemand sie als vermisst gemeldet hat. Dann hätten wir sie in unseren Registern gefunden.«
    »Ich weiß nicht genau, wie es damals weiterging. Jemand hat das Pferd genommen, und der Wagen ist wohl verrottet. Ich glaube, man hat sich nicht viel um diese Reisenden gekümmert. Ich weiß noch, dass ich ein paar Jahre später nachgefragt habe. Aber niemand wusste etwas. Die Vorurteile damals waren schlimm. Aber das sind sie vielleicht heute noch.«
    »Fällt dir sonst noch etwas ein?«
    »Es ist so lange her. Ich bin schon froh, dass ich das hier noch weiß.«
    »Kannst du sagen, welches Jahr es war?«
    »Nein. Aber es stand viel darüber in den Zeitungen. Das muss doch zu finden sein.«
    Wallander hatte es plötzlich eilig. Er trank seinen Kaffee aus und stand auf.
    »Ich bin dir dankbar, dass du dich gemeldet hast. Es kann sehr wichtig sein. Ich lasse dich wissen, wie es weitergeht.«
    »Aber warte nicht zu lange«, sagte Simon Larsson. »Ich bin alt. Ich kann jeden Tag sterben.«
     
    Wallander verließ Tomelilla. Er fuhr schnell. Zum ersten Mal hatte er das Gefühl, in der laufenden Ermittlung nicht mehr weit vom Durchbruch entfernt zu sein.

18.
     
    Martinsson brauchte vier Stunden, um auf Mikrofilm gespeicherte alte Exemplare von Ystads Allehanda aufzutreiben, in denen etwas über den mysteriösen Wagen und das Pferd zu lesen war. Weitere zwei Stunden später kam er

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