Mord Im Kloster
Ihr wisst, ich habe keine eigene Familie, die Templer waren meine Familie. Jetzt bin ich gewissermaßen Vollwaise, nicht wahr? Und was ist aus meinen Idealen geworden? Sie dürfen nicht brach liegen und auch nicht so verwahrlosen wie bei diesem Hauptmann der Deutschritter. Ich kann auch nicht nur herumreisen und an mich herangetragene Aufgaben übernehmen, auch wenn das ehrenhaft ist. Wir dürfen keine Söldner sein.«
»Wir sind keine Söldner«, sagte Uthman. »Wir werden auch nie welche sein.«
»Gut. Aber ich muss ein Ziel vor Augen haben, das war für mich immer wichtig. Ich habe darüber nachgedacht, ob ich nicht die verlorenen Tempelbrüder vereinen kann. Es gibt sie überall im Verborgenen. Jeder leidet für sich am Gang der Geschichte. Wir müssen erreichen, dass sie wieder zusammenkommen und Mut schöpfen. In Frankreich ebenso wie in England.«
Joshua sagte: »In Iberien kämpfen Templer in der so genannten Reconquista gegen die Mauren. Und in Portugal gibt es die Tempelgemeinschaft in Gestalt des Christusordens. Vielleicht sollten wir dorthin gehen.«
»Das wäre ein Weg. Aber mir stehen noch immer die Bilder aus dem Pariser Tempel vor Augen, als ich nach den ersten Verhaftungen in der Stadt die Eingekerkerten aufsuchte. Ich war damals noch unverdächtig und versprach, sie zu retten. Ich konnte es nicht, weil ich dann selbst fliehen musste. Ich fühlte mich wie ein Verräter. Und die Bilder der Gefolterten und Trostlosen verfolgen mich noch immer beinahe jede Nacht. Nein – ich kann nicht nach Iberien oder Portugal. Außerdem ist der Kampf der Iberer gegen die Mauren, um das untergegangene Reich der christlichen Goten neu zu errichten, nicht mein Kampf.«
»Das will ich meinen«, sagte Uthman.
»Ich muss über kurz oder lang nach Frankreich zurück und die versprengten Brüder suchen. Ich muss sie aufrichten. Wir müssen um unsere Rehabilitierung kämpfen.«
Uthman sagte: »Das ist deine Aufgabe, ich verstehe es. Aber für mich kommt das nicht in Frage. Ich werde dann nach Cordoba zurückgehen.«
»Und ich nach Toledo«, sagte Joshua.
Henri erschrak, als er sich die Konsequenzen klar vor Augen führte. Er würde die Gefährten verlieren. Sie, die an die Stelle der familia getreten waren. Dann musste er einen ganz einsamen, verzweifelten Kampf führen. Wollte er das wirklich?
»Überlege es dir gut«, sagte Uthman. »Ich werde alles akzeptieren, was du beschließt. Aber ich trauere schon jetzt, wenn unsere Freundschaft eines Tages bedroht sein sollte.«
»Jeder muss seinen Sinn des Lebens spüren und sich Gott stellen«, sagte Joshua. »Niemand kann sich auf die Dauer mit Ersatzdingen betrügen.«
Henri seufzte. Er blickte zum Himmel auf. Schwere, dunkle Wolken hingen dort und verdeckten die Sonne. Das Meer blieb unruhig und aufgewühlt. Die Kogge war ein Spielball der Wellen. Henri sah es als gleichnishaftes Bild für seine Lage.
Nach zweitägiger Reise erreichten sie den kleinen Hafen von Damme. Der unscheinbare Ort lag an der breiten Bucht Swin, von hier aus führte der Fluss Reye zur bedeutenden Handelsstadt Brügge, die eine gute Meile landeinwärts lag. Große Schiffe legten in Damme oder im gegenüberliegenden Sluis an, dann wurden die Waren, ähnlich wie an der Elbe, auf kleinere Schiffe umgeladen. Angeblich besaß dieser Küstenstrich das gesündeste Klima weit und breit. Deshalb war wohl Guinivevre of Annan hier gelandet. Die drei Gefährten machten sich sofort auf die Suche nach ihr. Und damit auf die Suche nach Sean of Ardchatten. Wo das Mädchen war, würde auch der Knappe sein.
Es war leichter als gedacht, sie zu finden. Damme besaß nur zwei repräsentative Steinhäuser. In einem war die Filiale der Brügger Kaufmannsgilde untergebracht, im anderen befand sich eine Herberge. Als Henri, Uthman und Joshua den jungen Sean erblickten, saß er auf der meereszugewandten Seite des Gasthauses auf der Veranda und sang seiner Angebeteten ein Lied. Guinivevre lag hingegossen in Kissen und warf ihm ein Lächeln zu. In Henri stieg der Zorn über den ungehorsamen Knappen auf. Aber als er dessen starken schottischen Dialekt vernahm, war er schon fast wieder versöhnt.
Sean sang mit seiner hellen Singstimme: »Bleib nur bei mir, holde Schöne, denn wenn du fortgehst, muss ich in die Einsamkeit der Berge…«
»Nichts da!«, unterbrach ihn Henri laut. »Weder wird das Mädchen bei dir bleiben, noch wirst du in die Berge ziehen. Ich hingegen ziehe dir jetzt deine ungewaschenen Ohren
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