Mord im Orientexpress
das wäre am praktischsten», pflichtete Poirot ihm bei.
MacQueen hatte die ganze Zeit vom einen zum anderen gesehen; offenbar konnte er dem schnellen französischen Wortwechsel nicht folgen.
«Qu ’ est-ce qu ’ il y a?» begann er holprig. «Pourquoi – ?»
Poirot wies ihn mit einer raschen Gebärde auf den Eckplatz. MacQueen setzte sich und begann von neuem: «Pourquoi – ?»
Doch dann besann er sich und fuhr in seiner Muttersprache fort: «Was ist denn in diesem Zug los? Ist etwas passiert?»
Er blickte vom einen zum anderen.
Poirot nickte.
«Ganz recht. Es ist etwas passiert. Machen Sie sich auf einen Schrecken gefasst. Ihr Arbeitgeber, Mr. Ra t chett, ist tot.»
MacQueen spitzte die Lippen wie zu einem Pfiff. Außer dass seine Augen eine Spur heller glänzten, verriet er keinerlei Erschrecken oder Bestürzung.
«Haben sie ihn also doch erwischt», meinte er.
«Was wollen Sie denn damit sagen, Mr. MacQueen?»
MacQueen zögerte.
«Sie nehmen also an», hakte Poirot nach, «dass Mr. Ratchett ermordet wurde?»
«Etwa nicht?» Diesmal zeigte MacQueen sich doch erstaunt. «Ja, ja», sagte er dann bedächtig, «genau das hatte ich angenommen. Wollen Sie sagen, dass er einfach im Schlaf gestorben ist? Aber der Alte war doch so robust wie – robust wie –»
Er hielt inne, weil ihm kein Vergleich einfiel.
«Nein, nein», sagte Poirot, «Ihre Annahme war völlig richtig. Mr. Ratchett wurde ermordet. Erstochen. Aber ich möchte gern wissen, warum Sie so sicher angenommen haben, dass es Mord war, dass er nicht einfach – gestorben ist?»
MacQueen zögerte.
«Über eines sollte ich Klarheit haben», sagte er endlich. «Wer sind Sie, und was haben Sie damit zu tun?»
«Ich arbeite für die Compagnie internationale des wagons-lits.» Er legte eine kurze Pause ein, bevor er weitersprach: «Ich bin Detektiv. Mein Name ist Hercule Poirot.»
Falls er geglaubt hatte, Eindruck zu machen, so sah er sich getäuscht. MacQueen sagte nur: «Ach ja?», und wartete, ob noch mehr kam.
«Der Name ist Ihnen vielleicht bekannt?»
«Hm, ja, irgendwo habe ich ihn schon gehört – ich dachte nur immer, das wäre ein Damenschneider.»
Hercule Poirot musterte ihn angewidert.
«Nicht zu fassen!», sagte er.
«Was ist nicht zu fassen?»
«Nichts. Fahren wir in unserer Angelegenheit fort. Ich möchte von Ihnen, Mr. MacQueen, alles erfahren, was Sie über den Toten wissen. Sie waren nicht mit ihm verwandt?»
«Nein, ich bin – ich war – sein Sekretär.»
«Wie lange?»
«Seit über einem Jahr.»
«Bitte sagen Sie mir alles, was Sie wissen.»
«Nun gut. Ich habe Mr. Ratchett vor etwas über einem Jahr kennen gelernt, da war ich in Persien –»
Poirot unterbrach ihn: «Was hatten Sie da zu tun?»
«Ich war da von New York aus hingefahren und wollte mich um eine Ölkonzession bemühen. Ich glaube aber nicht, dass Sie das alles hören wollen. Meine Freunde und ich wurden ziemlich übel aufs Kreuz gelegt. Mr. Ratchett wohnte im selben Hotel. Er hatte sich gerade mit seinem Sekretär überworfen. Da hat er mir die Stelle angeboten, und ich habe sie genommen. Ich hing in der Luft und war froh, eine gut bezahlte Stelle sozusagen auf dem Tablett serviert zu bekommen.»
«Und seitdem?»
«Seitdem sind wir umhergereist. Mr. Ratchett wollte die Welt sehen. Dabei war ihm hinderlich, dass er keine Fremdsprachen beherrschte. Ich war für ihn mehr Reisemarschall als Sekretär. Ein angenehmes Leben.»
«Erzählen Sie mir jetzt über Ihren Arbeitgeber, soviel Sie wissen.»
«Das ist nicht so einfach.»
«Wie hieß er mit vollem Namen?»
«Samuel Edward Ratchett.»
«Er war amerikanischer Staatsbürger?»
«Ja.»
«Aus welchem Teil Amerikas kam er?»
«Weiß ich nicht.»
«Gut, dann sagen Sie mir, was Sie wissen.»
«Um ehrlich zu sein, Monsieur Poirot, ich weiß gar nichts. Mr. Ratchett hat nie von seinem Leben in Amerika gesprochen.»
«Hatte das wohl einen Grund, was glauben Sie?»
«Ich weiß es nicht. Ich dachte mir, er schämt sich vielleicht seiner Herkunft. So etwas gibt es ja.»
«Halten Sie das für eine befriedigende Erklärung?»
«Ehrlich gesagt, nein.»
«Hatte er Verwandte?»
«Erwähnt hat er nie etwas davon.»
Poirot ließ nicht locker. «Sie müssen sich doch i r gendeine Meinung gebildet haben, Mr. MacQueen.»
«Ja, schon, das habe ich. Zum einen glaube ich nicht, dass Ratchett sein richtiger Name war. Ich bin ziemlich fest davon überzeugt, dass er Amerika verlassen hat, um sich vor
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