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Mord im Orientexpress

Mord im Orientexpress

Titel: Mord im Orientexpress Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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irgendetwas oder jemandem in Sicherheit zu bringen. Das ist ihm wohl auch gelungen – bis vor ein paar Wochen.»
    «Und da?»
    «Da bekam er die ersten Briefe. Drohbriefe.»
    «Haben Sie die Briefe gesehen?»
    «Ja. Es gehörte ja zu meinen Aufgaben, mich um seine Korrespondenz zu kümmern. Der erste Brief kam vor vierzehn Tagen.»
    «Wurden diese Briefe vernichtet?»
    «Nein, ich glaube, ich habe noch zwei in meinen Akten – von einem weiß ich nur, dass Mr. Ratchett ihn in der Wut zerrissen hat. Soll ich sie holen?»
    «Wenn Sie so freundlich wären.»
    MacQueen verließ das Abteil. Wenige Minuten später kam er wieder und legte zwei ziemlich verschmutzte Blätter Schreibpapier vor Poirot hin.
    Der erste Brief lautete:
    Du hast gedacht, du könntest uns reinlegen und dich davonmachen. Da bist du schief gewickelt! Wir wollen dich kriegen, Ratchett, und wir werden dich kriegen!
    Eine Unterschrift fehlte.
    Poirot nahm ohne Kommentar, nur mit leicht hochgezogenen Augenbrauen, den zweiten Brief zur Hand.
    Wir nehmen dich mit auf eine Reise, Ratchett. Schon bald. Wir kriegen dich, verstanden?
    Poirot ließ den Brief sinken. «Der Stil ist etwas eintönig», meinte er. «Eintöniger als die Handschrift.»
    MacQueen sah ihn mit großen Augen an.
    «Sie würden so etwas nicht merken», erklärte Poirot liebenswürdig. «Dafür ist das Auge eines Menschen gefordert, der sich in derlei Dingen auskennt. Dieser Brief wurde nicht von einer Person abgefasst, Mr. MacQueen. Zwei oder mehr Leute haben ihn geschrieben – jeder abwechselnd einen Buchstaben. Außerdem in Druckschrift. Das erschwert die Identifizierung der Handschrift sehr.»
    Nach einer kurzen Pause fuhr er fort:
    «Wussten Sie, dass Mr. Ratchett sich um Hilfe an mich gewandt hat?»
    «An Sie?»
    MacQueens verwunderter Ton sagte Poirot mit großer Gewissheit, dass der junge Mann davon wirklich nichts gewusst hatte. Er nickte.
    «Ja. Er hatte Angst. Sagen Sie mir: Wie hat er reagiert, als er den ersten Brief bekam?»
    MacQueen zögerte.
    «Das ist schwer zu sagen. Er hat ihn – mit einem stillen Lachen abgetan, wie es so seine Art war. Aber irgendwie –», er schüttelte sich ein wenig – «irgendwie hatte ich das Gefühl, dass unter dieser scheinbaren Gelassenheit etwas in ihm vorging.»
    Poirot nickte. Dann stellte er eine unerwartete Frage.
    «Mr. MacQueen, sagen Sie mir doch einmal ganz ehrlich, wie Sie zu Ihrem Arbeitgeber standen? Mochten Sie ihn?»
    Hector MacQueen ließ sich mit der Antwort einen Moment Zeit.
    «Nein», sagte er schließlich. «Ich mochte ihn nicht.»
    «Warum nicht?»
    «Das kann ich nicht genau sagen. Er war in seiner Art eigentlich immer ganz umgänglich.» Er überlegte, ehe er fortfuhr: «Um ehrlich zu sein, Monsieur Poirot, ich konnte ihn nicht leiden und habe ihm nie über den Weg getraut. Ich glaube mit Bestimmtheit, dass er ein brutaler und gefährlicher Mensch war. Aber ich muss gestehen, dass ich Ihnen für diese Meinung keinen Grund nennen kann.»
    «Danke, Mr. MacQueen. Noch eine Frage – wann haben Sie Mr. Ratchett zuletzt lebend gesehen?»
    «Gestern Abend, gegen –» Er musste lange nachdenken. «Gegen zehn Uhr, würde ich sagen. Da bin ich in sein Abteil gegangen, um mir ein paar Notizen von ihm zu holen.»
    «Notizen zu was?»
    «Zu irgendwelchen antiken Kacheln und Töpfereien, die er in Persien gekauft hatte. Was geliefert wurde, war nicht, was er gekauft hatte. Es gab in dieser Angelegenheit eine lange, unerquickliche Korrespondenz.»
    «Und da wurde Mr. Ratchett zum letzten Mal lebend gesehen?»
    «Vermutlich ja.»
    «Wissen Sie, wann Mr. Ratchett den letzten Drohbrief erhalten hat?»
    «Am Morgen des Tages, an dem wir von Konstantinopel aufgebrochen sind.»
    «Eine Frage muss ich Ihnen noch stellen, Mr. MacQueen: Standen Sie mit Ihrem Arbeitgeber auf gutem Fuß?»
    Plötzlich begann es in den Augen des jungen Mannes zu blitzen.
    «An dieser Stelle soll ich wohl das große Zähneklappern bekommen, nicht? Um es in der Sprache der Kriminalromane zu sagen: ‹Sie haben nichts gegen mich in der Hand.› Mr. Ratchett und ich standen miteinander auf allerbestem Fuß.»
    «Dann nennen Sie mir jetzt vielleicht noch Ihren vollen Namen, Mr. MacQueen, und Ihre Adresse in Amerika.»
    MacQueen nannte ihm seinen Namen: Hector Willard MacQueen, und eine Adresse in New York.
    Poirot lehnte sich in die Polster zurück.
    «Das wäre gegenwärtig alles, Mr. MacQueen», sagte er. «Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie die Sache mit

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