Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mord im Orientexpress

Mord im Orientexpress

Titel: Mord im Orientexpress Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
Vom Netzwerk:
plötzlich noch einmal inne.
    «Sie werden verzeihen, Monsieur», sagte sie, «aber darf ich Sie nach Ihrem Namen fragen? Ihr Gesicht kommt mir irgendwie bekannt vor.»
    «Mein Name, Madame, ist Hercule Poirot – zu Ihren Diensten.»
    Sie schwieg eine ganze Weile.
    «Hercule Poirot», sagte sie dann. «Doch, jetzt erinnere ich mich. Das ist Vorsehung.»
    Sehr aufrecht und etwas steifbeinig schritt sie davon.
    «Voilà une grande dame», sagte Monsieur Bouc. «Was halten Sie von ihr, mein Freund?»
    Aber Hercule Poirot schüttelte nur den Kopf.
    «Ich überlege», sagte er, «was sie wohl mit ‹Vorsehung› gemeint hat.»

Siebtes Kapitel

Das Zeugnis des Grafen Andrenyi
und Gemahlin
     
    G raf und Gräfin Andrenyi wurden als Nächste gerufen, aber der Graf kam allein in den Speisewagen.
    Er war zweifelsohne ein sehr gut aussehender Mann, wenn man ihm gegenüberstand – über einen Meter achtzig groß, breitschultrig und schmalhüftig. Er trug einen tadellos geschneiderten englischen Tweedanzug und hätte überhaupt als Engländer gelten können, wenn da nicht die Größe seines Schnurrbarts und ein gewisses Etwas in der Form seiner Wangenknochen gewesen wäre.
    «Nun, Messieurs», sagte er, «womit kann ich Ihnen dienen?»
    «Sie verstehen, Monsieur», antwortete Poirot, «dass ich angesichts dessen, was hier geschehen ist, die Pflicht habe, allen Fahrgästen gewisse Fragen zu stellen.»
    «Durchaus, durchaus», antwortete der Graf lässig. «Ich verstehe Ihre Situation. Allerdings fürchte ich, dass meine Frau und ich Ihnen nicht viel weiterhelfen können. Wir haben geschlafen und nichts gehört.»
    «Wissen Sie, um wen es sich bei dem Verstorbenen handelt, Monsieur?»
    «Wie ich höre, ist es dieser Amerikaner – ein Mensch mit ausgesprochen unangenehmem Gesicht. Bei den Mahlzeiten saß er an diesem Tisch.» Er deutete mit einer Kopfbewegung zu dem Tisch, an dem Ratchett und MacQueen gesessen hatten.
    «Ja, Sie erinnern sich vollkommen richtig, Monsieur. Aber ich meinte, ob Sie den Namen des Mannes kannten?»
    «Nein.» Poirots Fragen schienen den Grafen gründlich zu verwirren.
    «Wenn Sie den Namen wissen wollen», sagte er, «der steht doch sicher in seinem Pass.»
    «In seinem Pass steht der Name Ratchett», sagte Poirot. «Aber das war nicht sein richtiger Name, Monsieur. Vielmehr handelt es sich um einen gewissen Cassetti, auf dessen Konto dieser empörende Entführungsfall in Amerika ging.»
    Während er das sagte, beobachtete er den Grafen sehr genau, doch diesen ließ seine Mitteilung offenbar völlig ungerührt. Er öffnete nur die Augen ein wenig weiter.
    «Aha», meinte er. «Das dürfte Licht in die Sache bringen. Ein sonderbares Land, dieses Amerika.»
    «Sie waren vielleicht schon dort, Monsieur le Comte?»
    «Ich war ein Jahr in Washington.»
    «Kannten Sie dort vielleicht die Familie Armstrong?»
    «Armstrong – Armstrong – schwer zu sagen. Man lernt so viele Leute kennen.» Er zuckte lächelnd die Achseln. «Um aber auf den eigentlichen Gegenstand dieses Gesprächs zurückzukommen, Messieurs», sagte er dann, «wie kann ich Ihnen sonst noch weiterhelfen?»
    «Als Sie sich zur Ruhe begaben, Monsieur le Comte – wann war das?»
    Hercule Poirot warf einen verstohlenen Blick auf seine Skizze. Graf und Gräfin Andrenyi belegten die benachbarten Abteile zwölf und dreizehn.
    «Wir hatten das eine Abteil schon für die Nacht herrichten lassen, während wir beim Abendessen saßen. Nachdem wir zurück waren, haben wir noch eine Weile in dem anderen gesessen –»
    «Welches war das?»
    «Nummer dreizehn. Wir haben Piquet gespielt. Gegen elf Uhr hat meine Frau sich zur Ruhe begeben. Dann hat der Schaffner auch mein Abteil hergerichtet, und ich bin ebenfalls zu Bett gegangen. Ich habe durchgeschlafen bis zum Morgen.»
    «Haben Sie gemerkt, dass der Zug stehen blieb?»
    «Das habe ich erst heute Morgen gesehen.»
    «Und Ihre Frau?»
    Der Graf lächelte.
    «Meine Frau nimmt auf nächtlichen Eisenbahnfahrten immer einen Schlaftrunk. Sie hat ihre gewohnte Dosis Trional genommen.» Er schwieg einen Moment. «Es tut mir Leid, dass ich Ihnen in keiner Weise behilflich sein kann.»
    Poirot schob ihm ein Blatt Papier und einen Federhalter über den Tisch.
    «Danke, Monsieur le Comte. Es ist eine reine Formalität, aber könnten Sie mir bitte Ihren Namen und Ihre Adresse hier aufschreiben?»
    Der Graf schrieb langsam und penibel.
    «Es ist schon besser, wenn ich das selbst schreibe», meinte er leutselig.

Weitere Kostenlose Bücher