Mord im Pfarrhaus
ich. «Wenn das auch nur im Geringsten möglich gewesen wäre, hätte Miss Marple es sofort spitz gekriegt.»
«Das stimmt allerdings. Wir schauen uns besser mal das Atelier an.»
Das so genannte Atelier war nur ein einfacher Schuppen mit einem Oberlicht. Es gab keine Fenster, die Tür war der einzige Ein- und Ausgang. Melchett war in dieser Hinsicht zufrieden und kündigte an, er werde später das Pfarrhaus mit dem Kommissar besuchen.
«Jetzt gehe ich zur Polizeiwache.»
Als ich durch die Haustür trat, hörte ich Stimmengemurmel. Ich öffnete die Tür zum Salon.
Auf dem Sofa neben Griselda saß Miss Gladys Cram und unterhielt sich angeregt. Die Beine in auffallend glänzenden rosa Strümpfen hatte sie übereinander geschlagen, und mir blieb ausreichend Gelegenheit wahrzunehmen, dass sie einen rosa gestreiften Schlüpfer trug.
«Hallo, Len», sagte Griselda.
«Guten Morgen, Mr Clement», sagte Miss Cram. «Ist die Sache mit dem Colonel nicht wirklich zu schrecklich? Der arme alte Herr.»
«Miss Cram», erklärte meine Frau, «kam freundlicherweise vorbei, um ihre Hilfe bei den Pfadfinderinnen anzubieten. Wir sagten letzten Sonntag, dass wir Helferinnen brauchen, du wirst dich erinnern.»
Ich erinnerte mich und war ebenso überzeugt wie Griselda – das schloss ich aus ihrem Ton –, dass Miss Cram nie daran gedacht hätte, sich der Pfadfinderinnen anzunehmen, wenn der aufregende Vorfall im Pfarrhaus nicht gewesen wäre.
«Ich sagte gerade zu Mrs Clement», fuhr Miss Cram fort, «ich war einfach platt, als ich davon hörte. Ein Mord?, sagte ich. In diesem ruhigen Dorf am Ende der Welt – denn ruhig ist es, das müssen Sie zugeben, noch nicht mal ein Stummfilmkino, von Tonfilmen ganz zu schweigen! Und dann die Sache mit Colonel Protheroe – wirklich, ich konnte es einfach nicht glauben. Irgendwie war er nicht der Typ, der ermordet wird.»
«Und deshalb», sagte Griselda, «kam Miss Cram vorbei, um alles darüber zu erfahren.»
Ich fürchtete, die junge Dame könnte wegen dieser deutlichen Worte beleidigt sein, aber sie warf lediglich den Kopf zurück und lachte schallend, wobei sie jeden ihrer Zähne zeigte.
«Das ist ja zu peinlich. Sie nehmen kein Blatt vor den Mund, was, Mrs Clement? Aber es ist doch nur natürlich, wenn man alle Einzelheiten eines solchen Falles hören will, oder etwa nicht? Und ich bin bestimmt bereit, bei den Pfadfinderinnen zu helfen, wie immer Sie wollen. Aufregend ist das. Ich habe mich so nach ein bisschen Spaß gesehnt, wirklich. Nicht dass mein Job nicht hervorragend wäre, gut bezahlt, und Dr. Stone ist ein Gentleman in jeder Hinsicht. Aber ein Mädchen will außerhalb der Bürostunden auch ein bisschen was erleben, und mit wem als Ihnen, Mrs Clement, kann man hier schon reden bei all diesen alten Schleiereulen?»
«Da wäre Lettice Protheroe», sagte ich.
Gladys Cram machte eine verächtliche Kopfbewegung. «Sie ist zu hochnäsig für unsereinen. Hält sich für den Landadel und würde sich nicht dazu herablassen, ein Mädchen zu bemerken, das für seinen Lebensunterhalt arbeiten muss. Dabei habe ich sie davon reden hören, selbst ihr Geld zu verdienen. Und wer würde sie schon einstellen, möchte ich wissen? In weniger als einer Woche wäre sie gefeuert. Es sei denn, sie ginge als Mannequin und würde aufgetakelt über den Laufsteg stolzieren. Das könnte sie machen, nehme ich an.»
«Sie wäre ein sehr gutes Mannequin», sagte Griselda. «Sie hat eine so gute Figur.» Griselda ist kein bisschen boshaft. «Wann hat sie davon geredet, ihr eigenes Geld zu verdienen?»
Miss Cram schien einen Moment verlegen, doch dann spielte sie die Schalkhafte.
«Das wüssten Sie gern, nicht wahr? Aber sie hat es wirklich gesagt. Bei ihr zu Hause ist nicht gerade alles in Butter, stelle ich mir vor. Für mich käme das nicht in Frage, zu Hause mit einer Stiefmutter zu leben. Keine Minute würde ich das aushalten.»
«Ja, aber Sie sind so unternehmungslustig und unabhängig», sagte Griselda ernst, und ich schaute sie misstrauisch an.
Miss Cram war sichtlich erfreut. «Das stimmt. So bin ich durch und durch. Mich kann man führen, aber nicht treiben. Eine Handleserin hat mir das vor kurzem gesagt. Nein, ich setze mich nicht hin und lasse mich herumkommandieren. Und ich habe Dr. Stone von Anfang an klar gemacht, dass ich meine geregelte Freizeit brauche. Diese Wissenschaftler, sie glauben, ein Mädchen ist eine Art Maschine – die halbe Zeit bemerken sie einen gar nicht oder
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