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Mord im Pfarrhaus

Mord im Pfarrhaus

Titel: Mord im Pfarrhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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wirklich nicht so.»
    «Ich halte sie gar nicht für ungehörig. Sie und Griselda sind die besten Freunde, die ich hier habe. Und ich mag diese komische alte Miss Marple. Lucius war sehr wohlhabend, wissen Sie. Er hat seinen Besitz zu ziemlich gleichen Teilen mir und Lettice vererbt. Old Hall bekomme ich, aber Lettice darf genug Möbel aussuchen, um ein kleines Haus einzurichten, und sie erhält eigens eine besondere Summe, um es zu kaufen, so ist das Gleichgewicht wiederhergestellt.»
    «Wissen Sie etwas über ihre Pläne?»
    Anne schnitt eine komische Grimasse.
    «Sie verrät sie mir nicht. Ich kann mir vorstellen, dass sie so bald wie möglich von hier weggeht. Sie mag mich nicht – hat mich nie gemocht. Ich fürchte, es ist mein Fehler, obwohl ich immer versucht habe, anständig zu ihr zu sein. Aber vermutlich lehnt jedes junge Mädchen ihre junge Stiefmutter ab.»
    «Mögen Sie Lettice?», fragte ich direkt.
    Sie antwortete nicht sofort, was mich davon überzeugte, dass Anne Protheroe eine sehr aufrichtige Frau ist.
    «Zuerst schon», sagte sie dann. «Sie war so ein hübsches kleines Mädchen. Ich glaube, jetzt mag ich sie nicht mehr. Ich weiß nicht warum. Vielleicht weil sie mich nicht mag. Ich mag es, wenn man mich mag, wissen Sie.»
    «Das geht uns allen so», sagte ich, und Anne Protheroe lächelte.
    Ich hatte noch eine Aufgabe zu erledigen. Das war ein Gespräch unter vier Augen mit Lettice Protheroe. Es ergab sich wie von selbst, als ich sie allein im Salon sah. Griselda und Gladys Cram waren draußen im Garten.
    Ich schloss hinter mir die Tür. «Lettice, ich möchte mit Ihnen über etwas reden.»
    Sie schaute gleichgültig auf. «Ja?»
    Ich hatte mir vorher überlegt, was ich sagen wollte. Ich zeigte ihr den blauen Ohrring und fragte ruhig: «Warum haben Sie den in meinem Arbeitszimmer fallen lassen?»
    Ich sah, wie sie sich einen Augenblick versteifte – es geschah sekundenschnell, und sie erholte sich so rasch von ihrem Schreck, dass ich selbst die Bewegung kaum hätte beschwören können. Dann sagte sie unbekümmert:
    «Ich habe nie etwas in Ihrem Arbeitszimmer fallen lassen. Der gehört mir gar nicht. Er gehört Anne.»
    «Das weiß ich», sagte ich.
    «Warum fragen Sie dann mich? Anne muss ihn fallen gelassen haben.»
    «Mrs Protheroe war seit dem Mord nur einmal in meinem Arbeitszimmer und da war sie schwarz gekleidet und hätte kaum einen blauen Ohrring getragen.»
    «In diesem Fall», sagte Lettice, «nehme ich an, muss sie ihn vorher verloren haben.» Sie fügte hinzu: «Das ist nur logisch.»
    «Es ist sehr logisch», sagte ich. «Vermutlich erinnern Sie sich nicht zufällig, wann Ihre Stiefmutter diese Ohrringe zuletzt getragen hat?»
    «Oh!» Sie schaute mich fragend und vertrauensvoll an. «Ist es sehr wichtig?»
    «Vielleicht.»
    «Ich will versuchen mich zu erinnern.» Sie saß da und zog die Brauen zusammen. Ich habe Lettice Protheroe nie bezaubernder gesehen als in diesem Moment. «Oh ja!», sagte sie plötzlich. «Sie trug sie am – am Donnerstag, jetzt weiß ich es wieder.»
    «Donnerstag», sagte ich langsam, «war der Tag des Mordes. Mrs Protheroe kam an diesem Tag durch den Garten ans Arbeitszimmer, aber nach Ihrer Aussage ging sie nur bis zur Glastür, nicht in den Raum hinein.»
    «Wo haben Sie den Ohrring gefunden?»
    «Er war unter den Schreibtisch gerollt.»
    «Dann sieht es so aus, nicht wahr», sagte Lettice kühl, «als hätte sie nicht die Wahrheit gesagt.»
    «Sie meinen, dass sie doch hereinkam und am Schreibtisch stand?»
    «Nun, so sieht es aus, nicht wahr?»
    Aus klaren Augen schaute sie mich gelassen an.
    «Wenn Sie es wissen wollen», sagte sie ruhig, «ich habe nie geglaubt, dass sie die Wahrheit sagt.»
    «Und ich weiß, dass Sie nicht die Wahrheit sagen, Lettice.»
    «Was soll das heißen?» Sie war überrascht.
    «Das soll heißen, dass ich diesen Ohrring das letzte Mal am Freitagmorgen sah, als ich mit Colonel Melchett herkam. Er lag mit seinem Gegenstück auf dem Frisiertisch Ihrer Stiefmutter. Ich hatte sogar beide in der Hand.»
    «Oh!» Sie zitterte, dann warf sie sich plötzlich seitlich über die Armlehne ihres Sessels und brach in Tränen aus. Ihre kurzen blonden Haare hingen herunter und berührten fast den Boden. Es war eine ungewöhnliche Haltung – schön und unbeherrscht.
    Ich ließ sie ein paar Minuten schluchzen, dann sagte ich sehr sanft: «Lettice, warum haben Sie das getan?»
    «Was?»
    Sie sprang auf und warf dabei heftig die Haare

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