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Mord im Pfarrhaus

Mord im Pfarrhaus

Titel: Mord im Pfarrhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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ließ Miss Marple ein.
    Sie hatte sich einen sehr zarten Shetlandschal über Kopf und Schultern geworfen und sah recht alt und gebrechlich aus. Sie kam unter vielen kleinen aufgeregten Ausrufen.
    «So freundlich von Ihnen, mich zu empfangen – und so nett von der lieben Griselda – Raymond bewundert sie so – ein perfektes Bild von Greuze nennt er sie immer… Nein, ich brauche keinen Schemel.»
    Ich legte ihren Schal auf einen Stuhl und setzte mich meinem Gast gegenüber. Wir schauten einander an, und ein kleines entschuldigendes Lächeln zeigte sich auf ihrem Gesicht.
    «Ich habe das Gefühl, Sie müssen sich fragen warum – warum ich an all dem so interessiert bin. Möglicherweise halten Sie es für sehr unweiblich. Nein – bitte – ich würde es gern erklären, wenn ich darf.»
    Sie machte eine kurze Pause und errötete leicht.
    «Verstehen Sie», sagte sie schließlich, «wenn man allein lebt wie ich, in einem ziemlich abgelegenen Teil der Welt, muss man ein Hobby haben. Da gibt es natürlich Handarbeiten und Pfadfinderinnen und Wohltätigkeit und Zeichnen, aber mein Hobby ist – und war schon immer – die menschliche Natur. So vielfältig – und so überaus faszinierend. Und natürlich hat man in einem kleinen Dorf ohne Ablenkung reichlich Gelegenheit, sich in seinen Studien zu vervollkommnen, wenn ich es so nennen darf. Man fängt an die Leute zu klassifizieren, sehr genau, als ob sie Vögel oder Blumen wären, Familie soundso, Gattung dies, Art das. Manchmal macht man selbstverständlich Fehler, aber mit der Zeit immer weniger. Und dann prüft man sich selbst. Man nimmt ein kleines Problem –, zum Beispiel das Glas Garnelen, das die Griselda so amüsierte – ein ziemlich unwichtiges Rätsel, aber völlig unverständlich, wenn man es nicht richtig löst. Und dann war da die Sache mit den vertauschten Hustentropfen und dem Schirm der Metzgersfrau – letztere völlig sinnlos außer unter der Voraussetzung, dass der Gemüsehändler ganz und gar nicht schicklich mit der Apothekersfrau umging – was natürlich der Fall war. Es ist so faszinierend, wissen Sie, seine Einsichten anzuwenden und festzustellen, dass man Recht hat.»
    «Ich glaube, Sie haben gewöhnlich Recht», sagte ich lächelnd.
    «Das, fürchte ich, hat mich ein wenig eingebildet gemacht», gestand Miss Marple. «Aber ich habe mich immer gefragt, ob ich das Gleiche tun könnte, wenn eines Tages ein richtig großes Rätsel zu lösen wäre. Ich meine – es halt richtig lösen. Logischerweise sollte es genau das Gleiche sein. Schließlich ist ein kleines funktionierendes Modell eines Torpedos genau das Gleiche wie ein richtiger Torpedo.»
    «Sie meinen, es ist alles eine Frage der Relativität», sagte ich langsam. «Das sollte es sein – logischerweise, muss ich zugeben. Aber ich weiß nicht, ob es wirklich stimmt.»
    «Sicher muss es das Gleiche sein», sagte Miss Marple. «Die – was man in der Schule die Faktoren nannte – sind die Gleichen. Das sind Geld und die gegenseitige Anziehung von Menschen des – äh – anderen Geschlechts – und natürlich Wunderlichkeiten – so viele Menschen sind ein wenig wunderlich, nicht wahr? Eigentlich die meisten, wenn man sie gut kennt. Und normale Leute machen manchmal so erstaunliche Dinge, und anormale Leute sind manchmal so vernünftig und normal. Tatsächlich kann man nur Menschen mit anderen Menschen vergleichen, die man gekannt oder getroffen hat. Sie wären überrascht, wenn Sie wüssten, wie wenige unterschiedliche Typen es alles in allem gibt.»
    «Sie machen mir Angst. Ich komme mir vor, als würde ich unter ein Mikroskop gelegt», sagte ich.
    «Natürlich würde ich nicht im Traum etwas von diesen Dingen zu Colonel Melchett sagen – so ein selbstherrlicher Mann, nicht wahr? –, und der arme Kommissar Slack – nun, er ist genau wie die junge Dame im Schuhladen, die Ihnen Lackschuhe verkaufen will, weil sie welche in Ihrer Größe da hat, und gar nicht darauf eingeht, dass Sie braunes Kalbsleder haben wollen.»
    Das ist wirklich eine ausgezeichnete Beschreibung von Slack.
    «Aber Sie, Mr Clement, wissen bestimmt genau so viel über das Verbrechen wie Kommissar Slack. Ich dachte, wir könnten zusammenarbeiten…»
    «Ich frage mich», sagte ich, «ob nicht jeder von uns im tiefsten Herzen davon träumt, Sherlock Holmes zu sein.»
    Dann erzählte ich ihr von den drei Besuchen, zu denen ich an diesem Nachmittag aufgefordert worden war. Ich berichtete ihr von dem Porträt mit dem

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