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Mord im Spiegel

Mord im Spiegel

Titel: Mord im Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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Miss Marple, vor der ich den größten Respekt habe, riet mir, dass ich ›Lady of Shalott‹ erwähnen sollte.«
    »Ach, das!« , rief Mrs Bantry.
    »Ja, das ! Allerdings weiß ich nicht, was es bedeuten soll.«
    »Tennyson wird heute nicht mehr viel gelesen«, erklärte Mrs Bantry.
    »Jetzt erinnere ich mich wieder«, sagte Craddock. »Wenn auch nur vage… Der Spiegel bekam einen Sprung, von der einen Seite bis zur andern, und Lady of Shalott rief: ›Ich bin verdammt!‹ oder so ähnlich.«
    »Ja. Und genauso sah sie aus.«
    »Entschuldigen Sie, ich verstehe Sie nicht. Wen meinen Sie?«
    »Marina Gregg.«
    »Aha. Marina Gregg. Wann war das?«
    »Hat Jane es Ihnen nicht erzählt?«
    »Nein. Sie hat mir gar nichts erzählt. Sie hat mich nur zu Ihnen geschickt.«
    »Das war nicht nett von ihr, denn sie kann Ereignisse viel besser schildern als ich. Mein Mann sagte immer, dass er nie genau wüsste, wovon ich redete, weil ich so sprunghaft sei. Nun, es kann auch nur Einbildung gewesen sein. Doch wenn jemand ein so entsetztes Gesicht macht, vergisst man es nicht so schnell.«
    »Bitte, erzählen Sie!«
    »Also, es war auf jenem Fest. Es war ein Fest. Wie sollte man es sonst nennen? Am oberen Ende der Treppe fand eine Art Empfang statt. Bei der Renovierung waren die Wände eines Gästezimmers eingerissen worden, und dadurch war eine Halle entstanden, ein ziemlich großer Vorraum sozusagen. Marina Gregg war dort und ihr Mann auch. Sie baten ein paar Gäste hinauf. Mich ließen sie wohl holen, weil mir das Haus einmal gehörte. Und Heather Badcock und ihren Mann, weil sie bei der Organisation des Festes mitgemacht hatte. Zufällig gingen wir ungefähr zur gleichen Zeit die Treppe hinauf, und deshalb stand ich noch in der Nähe, als es mir auffiel.«
    »Als Ihnen was auffiel?«
    »Also – Mrs Badcock redete vor Aufregung noch mehr als gewöhnlich, wie das die Leute häufig tun, wenn sie jemand Berühmtes kennen lernen. Sie wissen schon – wie wundervoll es sei und wie aufregend und dass sie immer schon davon geträumt habe, sie wiederzusehen. Und sie begann eine lange Geschichte darüber, dass sie sich vor Jahren schon einmal begegnet seien und wie aufgeregt sie schon damals gewesen sei. Und ich dachte bei mir, wie lästig es für diese armen berühmten Leute sein musste, ständig Konversation zu machen. Und dann entdeckte ich, dass Marina Gregg diesmal nicht die üblichen freundlichen und unverbindlichen Bemerkungen machte. Sie stand da wie versteinert.«
    »Wie versteinert?«
    »Sie schien Mrs Badcock völlig vergessen zu haben. Ich meine, ich glaube, sie hat gar nicht aufgefasst, was Mrs Badcock sagte. Sie stand wie erstarrt da, mit entsetztem Gesicht und diesem, wie ich es nenne, Lady-of-Shalott-Blick, als habe sie etwas Entsetzliches gesehen. Etwas, vor dem sie Angst hatte, etwas, das so unfassbar war, dass sie es kaum ertragen konnte.«
    »Als sei sie verdammt?«, half Craddock nach.
    »Ja, genau das! Deshalb nenne ich es den Lady-of-Shalott-Blick.«
    »Aber was oder wen sah sie denn?«
    »Wenn ich das wüsste«, sagte Mrs Bantry.
    »Sie befand sich oben an der Treppe, sagen Sie?«
    »Sie blickte auf eine Stelle über Mrs Badcocks Kopf – nein, eher hinter ihrer Schulter.«
    »Auf eine Stelle der Treppe?«
    »Etwas seitlich.«
    »Und kamen Gäste herauf?«
    »Ja, ich glaube, fünf oder sechs Leute.«
    »Blickte sie auf jemand bestimmten?«
    »Ich kann es nicht sagen«, erwiderte Mrs Bantry. »Verstehen Sie, ich sah nicht in die gleiche Richtung. Ich blickte ja sie an. Ich stand mit dem Rücken zur Treppe. Erst vermutete ich, dass sie eines der Bilder ansah.«
    »Aber die Bilder dürfte sie doch kennen! Schließlich wohnt sie dort.«
    »Ja, eben. Nein, ich nehme auch an, dass es ein Gast war. Ich frage mich nur, welcher.«
    »Wir werden uns bemühen, das herauszufinden«, erklärte Craddock. »Erinnern Sie sich noch, wer alles da war?«
    »Nun – zum Beispiel der Bürgermeister und seine Frau. Und ein Mann, den ich für einen Reporter hielt, mit rotem Haar. Später wurde ich mit ihm auch bekannt gemacht, aber Namen merke ich mir nie. Galbraith – so ähnlich hieß er. Außerdem ein sehr dunkler großer Mann. Natürlich meine ich keinen Neger, er war nur sehr dunkel und wirkte sehr kraftvoll. Und eine Schauspielerin begleitete ihn. Viel zu blond, der Typ, der immer einen Nerz trägt. Außerdem der alte General Barnstaple aus Much Benham. Er ist jetzt ziemlich verkalkt, der arme Knabe. Ich glaube nicht, dass er

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