Mord im Spiegel
anderen Aspekt. Wer könnte Ihrer Frau etwas antun wollen? Es klingt ziemlich dramatisch, wenn man die Frage so stellt, aber – hat Ihre Frau Feinde?«
Rudd machte eine weit ausholende Geste. »Feinde? Feinde? Was verstehen Sie darunter? In der Welt, in der meine Frau und ich leben, gibt es einen Haufen Neid und Eifersucht. Immer laufen irgendwelche Leute herum, die schlecht über einen reden, die Gerüchte ausstreuen, die einem eins auswischen, wenn sich eine günstige Gelegenheit bietet. Doch deshalb sind sie noch keine Mörder oder zu einem Mord fähig. Meinen Sie nicht auch?«
»Ja, da stimme ich Ihnen zu. Es muss mehr sein als Eifersüchteleien oder kleinlicher Neid. Gibt es im Leben Ihrer Frau irgendjemand, dem sie einmal sehr wehgetan hat?«
Rudd antwortete nicht sofort. Er runzelte die Stirn.
»Offen gestanden, ich glaube es nicht«, erwiderte er schließlich. »Über diese Frage habe ich auch lange nachgedacht.«
»Vielleicht eine Liebesaffäre, eine Verbindung mit einem Mann?«
»Natürlich hat es derartige Affären gegeben. Man kann sogar annehmen, dass Marina gelegentlich einen Mann schlecht behandelt hat. Doch zu einem derart lang anhaltenden Hass besteht kein Grund. Davon bin ich überzeugt.«
»Wie steht es mit Frauen. Kennen Sie eine Frau, die Miss Gregg hasst?«
»Bei Frauen kann man es nie so genau sagen. Auf Anhieb fällt mir niemand ein.«
»Wer hätte durch den Tod Ihrer Frau finanzielle Vorteile?«
»In ihrem Testament hat sie verschiedenen Leuten etwas vermacht, allerdings keine großen Summen. Ich glaube, finanzielle Vorteile, wie Sie es nennen, hätten in einem solchen Fall nur ich als ihr Mann und der Star, der ihre Rolle übernehmen würde. Obwohl gar nicht mal sicher wäre, dass der Film in einem solchen Fall neu gedreht würde.«
»Ich glaube, es ist nicht nötig, auf diesen Punkt näher einzugehen«, meinte Craddock.
»Und ich habe Ihr Versprechen, dass Marina nicht erfährt, in welcher Gefahr sie schwebt?«
»Wir werden uns um dieses Problem kümmern müssen«, sagte Craddock. »Ich möchte noch einmal betonen, dass Sie ein großes Risiko eingehen. Doch die Angelegenheit wird erst in ein paar Tagen aktuell werden, da Ihre Frau im Augenblick noch krank ist und ein Arzt sich um sie kümmert. Um eines möchte ich Sie noch bitten: Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie so genau wie möglich notierten, welche Personen sich in der Halle am Ende der Treppe aufhielten oder gerade die Treppe heraufkamen, als der Mord geschah.«
»Ich werde mir Mühe geben, obwohl ich gewisse Zweifel habe. Es wäre viel besser, wenn Sie meine Sekretärin Ella Zielinsky fragten. Sie hat ein hervorragendes Gedächtnis. Außerdem existiert eine Gästeliste. Wenn Sie sie sprechen wollen…«
»Das wollte ich auch schon vorschlagen«, antwortete Craddock.
11
E lla Zielinsky musterte Craddock ungerührt durch ihre große Hornbrille, und Craddock fand, dass sie beinahe zu echt war, um wahr zu sein. Bereitwillig holte sie ein Blatt mit einer getippten Namenliste aus einer Schreibtischschublade und reichte es ihm, ohne eine Miene zu verziehen.
»Ich bin ziemlich sicher, dass niemand fehlt«, sagte sie dabei. »Doch es ist möglich, dass die Namen von ein paar Leuten- aus dem Ort – draufstehen, die nicht erschienen sind. Sie können auch früher gegangen sein, oder wir haben sie im Garten nicht gefunden. Aber ich glaube schon, dass die Liste genau ist.«
»Gute Arbeit, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf«, sagte Craddock.
»Vielen Dank.«
»Ich weiß zwar nicht so recht, was man in Ihrem Beruf alles tun muss, doch ich nehme an, dass die Anforderungen sehr hoch sind.«
»Man muss immer auf dem Posten sein, ja.«
»Wie weit reichen Ihre Aufgaben? Sind Sie auch eine Art Kontaktperson zwischen Studio und ›Gossington Hall‹?«
»Nein, mit dem Filmstudio habe ich nichts zu tun, außer dass ich Telefongespräche annehme oder Nachrichten weiterleite. Meine Pflichten betreffen Miss Greggs Privatleben, ich kümmere mich um den Terminkalender, die Einladungen und beaufsichtige bis zu einem gewissen Grad die Angestellten hier im Haus:«
»Gefällt Ihnen die Arbeit?«
»Ich werde sehr gut bezahlt und finde es ganz interessant. Auf Mord war ich allerdings nicht gefasst«, bemerkte sie trocken.
»Sie hielten so etwas für unmöglich?«
»Ja. Und deshalb möchte ich Sie auch fragen, ob es tatsächlich einer war.«
»Die sechsfache Dosis von Hy-äthyl-… und so weiter. Es dürfte kaum etwas
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