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Mord im Spiegel

Mord im Spiegel

Titel: Mord im Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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begreiflich«, erwiderte Craddock. »Nun wurde mir von einem Gast, der die Szene beobachtete, berichtet, dass Ihre Frau, Mr Rudd, während des kurzen Gesprächs mit Mrs Badcock etwas zerstreut wirkte. Würden Sie dies bestätigen?«
    »Schon möglich«, meinte Rudd. »Marina ist nicht sehr kräftig. Natürlich ist sie es gewöhnt, im Licht der Öffentlichkeit zu stehen, und spielt bei Anlässen wie diesem Wohltätigkeitsfest ihre Rolle automatisch. Doch am Ende eines langen Tages beginnt sie manchmal zu ermüden. Vielleicht war dies gerade ein solcher Augenblick. Wobei ich allerdings hinzufügen möchte, dass ich keine Anzeichen dafür bei ihr bemerkt habe. Nein, warten Sie, das stimmt nicht ganz. Ich erinnere mich, dass sie Mrs Badcock nicht sofort antwortete. Ich habe ihr sogar einen zarten Rippenstoß gegeben.«
    »Wurde sie durch irgendetwas abgelenkt?«, fragte Craddock.
    »Möglich. Doch es kann auch nur ein Anflug von Müdigkeit gewesen sein.«
    Craddock schwieg ein paar Minuten. Er blickte aus dem Fenster auf die Wälder, von denen »Gossington Hall«, eingeschlossen war. Sie wirkten irgendwie düster. Dann betrachtete er die Bilder an den Wänden und sah schließlich Rudd an, auf dessen Gesicht ein aufmerksamer Ausdruck lag. Was er dachte oder fühlte, konnte Craddock nicht erraten. Rudd wirkte freundlich und gelassen, doch vielleicht, überlegte Craddock, war dies nur Fassade. Rudd war ein hochintelligenter Mann. Er würde keine Informationen bekommen, das war Craddock klar, außer er legte seine Karten auf den Tisch. Craddock beschloss, genau das zu tun.
    »Haben Sie schon einmal daran gedacht, Mr Rudd, dass Heather Badcock rein zufällig vergiftet wurde. Dass eigentlich Ihre Frau das Opfer sein sollte?«
    Es entstand ein längeres Schweigen. Rudds Miene blieb undurchdringlich. Craddock wartete. Schließlich seufzte Rudd tief auf und schien sich zu entspannen.
    »Ja«, antwortete er ruhig, »Sie haben ganz Recht, Chefinspektor. Ich habe es die ganze Zeit gewusst.«
    »Aber Sie haben es nicht erwähnt, weder Inspektor Cornish gegenüber, noch bei der Voruntersuchung.«
    »Ja.«
    »Warum nicht, Mr Rudd?«
    »Ich könnte Ihnen antworten – und es wäre eine durchaus passende Antwort –, dass es sich nur um eine Vermutung von mir handelt und ich keine Beweise habe. Die Tatsachen, die mich zu dieser Vermutung veranlassten, waren auch den Vertretern des Gesetzes bekannt, die die Dinge vermutlich sehr viel besser beurteilen können als ich. Mrs Badcock kannte ich nicht näher. Vielleicht hatte sie Feinde, vielleicht hatte jemand beschlossen, ihr gerade bei dieser Gelegenheit die tödliche Dosis zu verabreichen, obwohl ich ein solches Vorhaben äußerst seltsam und ziemlich unglaubwürdig fände. Doch es ist auch möglich, dass dieses Wohltätigkeitsfest absichtlich gewählt wurde, weil hier die Verwirrung größer sein würde, weil eine Menge fremder Leute erscheinen würde und es so viel schwieriger wäre, die Person zu finden, die für dieses Verbrechen verantwortlich war. Dies alles entspricht der Wahrheit, Chefinspektor, doch ich will ehrlich sein – es war nicht der Grund, warum ich schwieg. Ich will Ihnen verraten, was mein wahres Motiv war: Der Gedanke war mir unerträglich, dass meine Frau auch nur ahnte, wie nahe sie dem Tod gewesen war.«
    »Ich danke Ihnen für Ihre Offenheit«, antwortete Craddock. »Obwohl ich die Motive für Ihr Schweigen nicht ganz verständlich finde.«
    »Nein? Vielleicht ist eine Erklärung nicht ganz einfach. Sie müssten Marina besser kennen, um meinen Standpunkt zu verstehen. Sie ist ein Mensch, der Glück und Sicherheit braucht. Im materiellen Sinne ist ihr Leben äußerst erfolgreich. Sie ist eine berühmte Schauspielerin, doch ihr Privatleben war zutiefst unglücklich. Immer wieder glaubte sie, das Glück gefunden zu haben, und war wie verrückt vor Freude darüber – und sicherlich oft zu Unrecht –, und dann musste sie erleben, wie das Gebäude ihrer Hoffnungen in sich zusammenbrach. Sie ist nicht fähig, das Leben sachlich und vernünftig zu betrachten. Jede Ehe war für sie wie ein Märchen, in dem das Paar glücklich lebte bis in alle Ewigkeit.«
    Wieder erschien das ironische Lächeln auf seinem Gesicht, und die hässliche Clownsmaske wurde plötzlich mild und freundlich.
    »Doch eine Ehe ist nicht so, Chefinspektor. So eine Verzückung dauert nicht ewig. Wir können froh sein, wenn es etwas Zufriedenheit, Zuneigung und solides Glück in unserem Leben gibt.«

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