Mord im Spiegel
sein sollte. Gegenüber meinen Kollegen hat er nicht mal eine Andeutung darüber gemacht. Wieso er glaubt, dass wir zu dumm sind, um selbst darauf zu kommen, begreife ich nicht. Wir haben von Anfang an daran gedacht. Wie dem auch sei, er hat jedenfalls Folgendes behauptet: Er hatte Angst, dass seine Frau davon erfahren und in Panik geraten würde.«
»Ist sie der Typ Frau, der leicht die Fassung verliert?«
»Ja, sie ist neurasthenisch, launisch, hat Nervenzusammenbrüche und Zustände.«
»Trotzdem kann sie Mut haben«, bemerkte Miss Marple.
»Andrerseits«, fuhr Craddock fort, »falls sie weiß, dass das Gift für sie selbst bestimmt war, könnte sie den Täter kennen.«
»Du meinst, dass sie weiß, wer es getan hat, es aber nicht sagen möchte?«
»Jedenfalls ist es eine Möglichkeit, und wenn sie stimmt, dann muss man sich fragen, warum sie schweigt. Vielleicht ist das Motiv, die Wurzel der ganzen Geschichte, ein Punkt, den der Ehemann nicht erfahren soll.«
»Ein höchst interessanter Gedanke«, meinte Miss Marple.
»Hier sind noch ein paar Namen. Die Sekretärin, Ella Zielinsky. Eine sehr tüchtige junge Person.«
»Verliebt in den Ehemann?«, fragte Miss Marple.
»Meiner Meinung nach ganz bestimmt nicht«, antwortete Craddock. »Warum?«
»Weil das häufig passiert«, sagte Miss Marple. »Und deshalb mag sie die arme Gregg nicht, was?«
»Also ein mögliches Mordmotiv«, stellte Craddock fest.
»Eine Menge Sekretärinnen und Angestellte verlieben sich in den Mann der Arbeitgeberin«, sagte Miss Marple, »aber sehr, sehr wenige versuchen, sie zu vergiften.«
»Es gibt immer Ausnahmen«, bemerkte Craddock trocken. »Außerdem waren drei Fotografen da, eine Dame aus London, zwei aus dem Ort. Dazu zwei Reporter. Sehr unwahrscheinlich, dass einer von ihnen der Täter ist, aber wir lassen sie überprüfen. Dann eine Frau, die mal mit dem zweiten oder dritten Mann der Gregg verheiratet war. Es gefiel ihr nicht, dass die Gregg ihr den Mann wegnahm. Trotzdem, das ist etwa elf oder zwölf Jahre her. Ziemlich unwahrscheinlich, dass sie herkommt und dieses Fest zum Anlass nimmt, um Marina Gregg zu vergiften. Ein Mann namens Ardwyck Fenn war ebenfalls Gast. Er soll mit der Gregg mal eng befreundet gewesen sein. Er hat sie seit Jahren nicht gesehen. Kein Mensch hatte eine Ahnung, dass er in England war, und alle waren sehr überrascht, als er auftauchte.«
»War sie verblüfft, als sie ihn entdeckte?«
»Sicher.«
»Vielleicht überrascht und entsetzt?«
»›Ich bin verdammt‹«, murmelte Craddock. »Ja, das ist es. Der junge Hailey Preston war an dem Tag auch in Hochform und kümmerte sich mit um die Gäste. Er redete eine Menge, hat aber nichts gesehen, nichts gehört und weiß auch nichts. Er hatte es beinahe zu eilig, uns das zu verraten. Klingelt’s jetzt irgendwie bei dir?«
»Leider nicht«, antwortete Miss Marple. »Viele interessante Möglichkeiten, mehr nicht. Trotzdem würde ich gern mehr über die Kinder erfahren.«
Er lächelte ihr zu. »Das ist ja fast zur fixen Idee bei dir geworden«, sagte er. »Na gut, ich werde mich umhören.«
13
» D er Bürgermeister kann es wohl nicht gewesen sein?«, fragte Inspektor Cornish sehnsüchtig und klopfte mit dem Bleistift auf die Namenliste, die vor ihm auf dem Schreibtisch lag.
Craddock grinste. »Der Wunsch ist wohl der Vater des Gedankens, was?«
»So könnte man es nennen«, sagte Cornish. »So ein alter Angeber und Heuchler!«, fuhr er fort. »Keiner kann ihn leiden. Spielt sich auf, tut, als könnte er kein Wässerchen trüben, und steckt dabei seit Jahren bis zum Hals im Dreck: korrupt bis in die Knochen.«
»Aber Sie können ihm nichts beweisen?«
»Nein. Dazu ist er zu gerissen. Er steht immer auf der richtigen Seite.«
»Es ist eine große Versuchung«, sagte Craddock, »das kann ich verstehen, aber Sie sollten dieses hoffnungsvolle Bild lieber aus Ihrem Kopf verbannen, Frank.«
»Ich weiß, ich weiß«, antwortete Cornish. »Er könnte es gewesen sein, doch es ist höchst unwahrscheinlich. Wen haben wir noch?«
Beide Männer beugten sich wieder über die Liste. Acht Namen waren noch übrig.
»Es steht doch einwandfrei fest«, sagte Craddock, »dass niemand übersehen wurde?« Ein leiser Zweifel schwang in seiner Stimme mit.
»Ich bin überzeugt, dass keiner fehlt«, antwortete Cornish. »Nach Mrs Bantry kam der Pfarrer, danach erschienen die Badcocks. Zu dem Zeitpunkt befanden sich acht Leute auf der Treppe. Der
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