Mord im Spiegel
Society‹ und ›Tit Bits‹ und so weiter. Ein Haufen Klatsch. Ein Haufen Skandale. Alles dreht sich um die Frage, wer wen liebt und so weiter. Weißt du, eigentlich ist es in St. Mary Mead auch nicht anders. Oder in der Siedlung. Ich meine damit, dass sich die menschliche Natur überall gleich bleibt. Und damit wären wir wieder bei der Frage, wer Marina Gregg getötet haben könnte, wer die Drohbriefe schickte und erneut versuchte, sie umzubringen. Vielleicht jemand, der hier nicht ganz…« Miss Marple klopfte sich vorsichtig an die Stirn.
»Ja«, sagte Craddock, »das scheint mir durchaus möglich zu sein. Man merkt es nicht immer auf den ersten Blick.«
»Ja, das weiß ich«, entgegnete Miss Marple nachdrücklich. »Der Zweitälteste Sohn der alten Mrs Pike, Alfred, schien ganz vernünftig und normal zu sein. Beinahe zu trocken und nüchtern, wenn du verstehst, was ich meine, aber in Wirklichkeit soll er höchst seltsam gewesen sein, richtig gefährlich. Jetzt wirkt er ganz glücklich und zufrieden, wie Mrs Pike mir erzählte, er ist im Nervensanatorium von Fairways. Dort versteht man ihn, und die Ärzte halten ihn für einen höchst interessanten Fall. Das gefällt ihm sehr. Ja, es nahm ein glückliches Ende, aber ein- oder zweimal wäre beinahe etwas passiert.«
Craddock erwog in Gedanken die Möglichkeit einer Ähnlichkeit zwischen jemandem aus Marina Greggs Umgebung und Mrs Pikes Zweitältestem Sohn.
»Was ist mit diesem italienischen Butler«, sagte Miss Marple, »der umgebracht wurde? Wie ich hörte, fuhr er am Tag vor seinem Tod nach London. Weiß man, was er dort wollte – falls du es mir überhaupt erzählen darfst«, fügte sie gewissenhaft hinzu.
»Er kam um halb zwölf in London an«, sagte Craddock, »und was er dort gemacht hat, weiß man erst ab Viertel vor zwei Uhr. Er ging zu einer Bank und zahlte fünfhundert Pfund ein. Angeblich hatte er einen kranken Verwandten oder einen Verwandten, der in Schwierigkeiten geraten war, besuchen wollen. Dafür haben wir keine Bestätigung. Niemand von seiner Familie hat ihn am fraglichen Tag gesehen.«
Miss Marple nickte zufrieden.
»Fünfhundert Pfund«, sagte sie. »Ein interessanter Betrag, nicht wahr? Ich würde sagen, die erste Rate einer weit höheren Summe.«
»Sieht so aus.«
»Sicherlich alles Geld, das die erpresste Person in der Eile aufbringen konnte. Entweder wollte der Erpresser nicht mehr, oder es war nur eine Anzahlung und das Opfer versprach, bald mehr zu zahlen. Dies schließt die Möglichkeit aus, dass der Täter jemand ist, der in bescheidenen Verhältnissen lebt und einen privaten Rachefeldzug gegen die Gregg führt. Es spricht auch gegen die Wahrscheinlichkeit, dass es jemand ist, der als Hilfsarbeiter im Filmstudio arbeitet oder als Diener oder Gärtner. Falls nicht – «, Miss Marple machte ein bedeutungsvolles Gesicht, »- falls nicht diese Person nur das ausführende Organ war, während der Drahtzieher im Hintergrund blieb. Daher die Fahrt nach London.«
»Sehr richtig. In London haben wir Ardwyck Fenn, Lola Brewster und Margot Bence. Alle drei waren bei dem Wohltätigkeitsfest. Sie hätten Giuseppe irgendwo in London zwischen halb zwölf und Viertel vor zwei an einem vereinbarten Ort treffen können. Ardwyck Fenn war während dieser Zeit nicht im Hotel, Lola Brewster machte Einkäufe, und Margot Bence war zu Aufnahmen unterwegs. Ach, übrigens – «
»Ja?«, sagte Miss Marple. »Ist da noch etwas besonders Wichtiges?«
»Du hast mich wegen der Kinder gefragt. Die Kinder, die die Gregg adoptierte, ehe sie wusste, dass sie schwanger war.«
»Und?«
Craddock berichtete ihr, was er erfahren hatte.
»Soso, Margot Bence«, sagte Miss Marple freundlich. »Ich hatte so ein Gefühl, als ob es etwas mit den Kindern zu tun hätte…«
»Aber nach so vielen Jahren…«
»Ich weiß. Ich weiß. Ziemlich unwahrscheinlich. Aber, mein lieber Dermot, hast du eigentlich eine Ahnung von Kindern? Denk mal an deine eigene Kindheit. Erinnerst du dich nicht an einen Vorfall, irgendetwas, das dich bekümmerte oder freute und wo der Gefühlsaufwand in keinem Verhältnis stand zur wahren Bedeutung? An Kummer oder Hass, den du seitdem nie wieder so deutlich gespürt hast? Es gab mal ein sehr gutes Buch von einem großartigen Schriftsteller, einem Richard Hughes. Den Titel habe ich vergessen. Es handelte von Kindern, die einen Hurrikan erlebten. Ach, ja – es hieß ›Hurrikan auf Jamaika‹. Am meisten beeindruckte sie ihre Katze, die wie
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