Mord im Spiegel
Badcock nicht an. Sie starrte über ihren Kopf hinweg, offenbar direkt in die Kamera oder leicht links von ihr.
»Sehr interessant«, sagte Miss Marple. »Weißt du, ich habe verschiedene Schilderungen von dem Gesicht, das sie machte. Wie erstarrt ja, das trifft es genau. Eine Ahnung von herannahendem Unheil nein, das kann ich nicht finden. Eher, als sei jedes Gefühl in ihr gestorben. Meinst du nicht auch? Angst ist es meiner Meinung nach nicht, obwohl sich Angst auch so ausdrücken kann. Sie kann einen lähmen. Trotzdem glaube ich nicht, dass es Angst war. Eher Schock. Dermot, mein lieber Junge, bitte, erzähl mir genau, was Heather Badcock zu Marina Gregg sagte. Vielleicht hast du dir Notizen gemacht. Um was es sich im Wesentlichen handelte, weiß ich, aber was hat sie ganz genau gesagt? Es müssen dir mehrere Leute das Gespräch geschildert haben.«
Craddock nickte.
»Ja. Lass mich überlegen! Deine Freundin, Mrs Bantry, hat mir davon erzählt, dann Jason Rudd, und ich glaube, auch Arthur Badcock. Wie du schon sagtest, gebrauchten sie nicht dieselben Worte, aber im Kern stimmten ihre Berichte überein.«
»Gerade die Verschiedenheit der Versionen interessiert mich. Ich glaube, dass es uns weiterhelfen könnte.«
»Ich begreife nicht, wie«, antwortete Craddock, »aber du offenbar schon. Deine Freundin, Mrs Bantry, war besonders gründlich. Soweit ich mich erinnere – Augenblick, ich habe sicherlich meine Notizen dabei.«
Er nahm ein kleines Notizbuch aus der Jackentasche und blätterte darin.
»Ich habe nicht den genauen Wortlaut«, sagte er, »aber das Wichtigste habe ich vermerkt. Anscheinend war Mrs Badcock sehr fröhlich, fast ausgelassen, und sehr zufrieden mit sich. Sie sagte zu Marina Gregg etwa Folgendes: ›Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie aufregend es für mich ist. Sie erinnern sich bestimmt nicht mehr, dass wir uns vor Jahren auf den Bermudas… ich hatte die Windpocken, stand aber trotzdem auf und ging hin, um Sie zu sehen und ein Autogramm von Ihnen zu bekommen. Es war einer der schönsten Tage meines Lebens. Ich werde ihn nie vergessen.‹«
»Ich verstehe«, sagte Miss Marple. »Sie erwähnte, wo sie sie getroffen hatte, nicht aber das Datum.«
»Ja.«
»Und was berichtete Rudd?«
»Rudd? Er meinte, Mr Badcock habe erzählt, seine Frau sei extra aufgestanden, obwohl sie die Grippe gehabt habe, um von Marina Gregg ein Autogramm zu bekommen. Sie besitze es heute noch. Es war kein so langer Bericht wie der deiner Freundin, aber im Wesentlichen dasselbe.«
»Erwähnte er den Ort oder das Datum?«
»Nein. Ich glaube, er sagte nur etwas von zehn oder zwölf Jahren, die es her sei.«
»Soso. Und was ist mit Mr Badcock?«
»Mr Badcock sagte, dass Heather sehr aufgeregt gewesen sei und sich sehr auf die Begegnung mit Marina Gregg gefreut habe. Sie hatte ihm erzählt, dass sie als junges Mädchen zu Miss Gregg gegangen und ein Autogramm von ihr erbeten habe, obwohl sie eigentlich krank gewesen sei und im Bett hätte bleiben sollen. Er ging nicht näher auf die Geschichte ein, weil es wohl in der Zeit vor ihrer Ehe geschehen war. Er schien die ganze Sache für nicht sehr wichtig zu halten.«
»Ich verstehe«, sagte Miss Marple. »Ja, ich verstehe…«
»Was verstehst du?«
»Ein paar Punkte sind mir noch unklar«, sagte Miss Marple ehrlich, »aber ich habe so ein Gefühl… wenn ich nur wüsste, warum sie sich ihr neues Kleid ruinierte…«
»Wer – Mrs Badcock?«
»Ja. Mir erscheint es sehr seltsam… völlig unerklärlich… außer… mein Gott, wie dumm von mir!«
Miss Knight öffnete die Tür und trat ein, wobei sie das Licht anmachte.
»Ich glaube, wir brauchen ein wenig Helligkeit!«, rief sie munter.
»Ja«, erwiderte Miss Marple. »Sie haben völlig Recht, Miss Knight. Genau das ist es, was wir versuchen – etwas Licht ins Dunkel zu bringen. Wissen Sie, mir scheint, es ist uns geglückt.«
Craddock hielt es für an der Zeit zu gehen. Er stand auf.
»Mich würde nur noch eines interessieren«, sagte er, »und zwar, ob es auch in deinem Leben Ereignisse gibt, an die du manchmal denken musst, ohne es zu wollen.«
»Du wirst es sicherlich komisch finden«, antwortete Miss Marple, »aber ich gebe zu, dass ich einen Augenblick an das Stubenmädchen der Lauristons denken musste.«
»An das Stubenmädchen der Lauristons?« Craddock war fassungslos.
»Sie hatte natürlich auch die Telefonanrufe entgegenzunehmen«, sagte Miss Marple, »und war dabei sehr ungeschickt. Den
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