Mord im Spiegel
kümmern? Die treue Florence war ihr immer sehr ergeben gewesen. Doch sie hing an ihrem eigenen kleinen Haus. Gequält schüttelte Miss Marple den Kopf. Da erklang ein fröhliches Klopfen an ihrer Tür. Auf Miss Marples Ruf »Herein!«, trat Cherry ins Zimmer.
»Ich soll Ihr Tablett holen«, sagte sie. »Ist irgendetwas passiert. Sie sehen so erregt aus.«
»Ich komme mir so hilflos vor«, antwortete Miss Marple. »Alt und hilflos!«
»Keine Sorge«, sagte Cherry und nahm das Tablett. »Sie sind alles andere als hilflos. Sie ahnen ja nicht, was man sich hier alles über Sie erzählt. In der Siedlung kennt Sie praktisch jeder. Was für unglaubliche Sachen Sie gemacht haben. Die halten Sie nicht für alt und hilflos! Sie redet Ihnen das ein.«
»Sie?«
Cherry nickte heftig in Richtung der Tür hinter sich. »Diese Katze, Miss Knight. Lassen Sie sich von ihr nicht unterkriegen.«
»Sie ist sehr freundlich«, erwiderte Miss Marple. Und fügte nach einer Weile hinzu: »Das finde ich wirklich.« Es klang, als glaube sie selbst nicht daran.
»Man kann des Guten auch zu viel tun«, erklärte Cherry. »Sie mögen es auch nicht, wenn man Ihnen immer wieder hinreibt, wie freundlich man zu Ihnen ist.«
»Na ja«, sagte Miss Marple und seufzte. »Wir haben wohl alle unsere Sorgen.«
»Das stimmt«, sagte Cherry. »Eigentlich dürfte ich mich nicht beklagen, aber manchmal glaube ich, dass etwas Schlimmes passiert, wenn ich noch viel länger mit Mrs Hartwell Tür an Tür wohnen muss. Diese mürrische alte Schachtel, immer nur klatschen und schimpfen. Jim hat auch die Nase voll. Gestern hatte er richtigen Streit mit ihr. Nur weil wir den ›Messias‹ etwas laut gestellt hatten. Dagegen kann man doch nichts haben, nicht wahr! Ich meine, es ist doch ein religiöses Werk.«
»Hatte sie was dagegen?«
»Sie hat sich schrecklich aufgeführt«, sagte Cherry. »Sie trommelte gegen die Wand und schimpfte.«
»Müssen Sie denn die Musik so laut hören?«, fragte Miss Marple.
»Jim hat es gern«, antwortete Cherry. »Er findet, dass es erst laut richtig klingt.«
»Für jemanden«, sagte Miss Marple, »der nicht musikalisch ist, könnte es etwas anstrengend sein.«
»Schuld ist das Haus«, sagte Cherry. »Es ist ein Doppelhaus, und die Wände sind dünn wie Papier. Eigentlich mag ich diese neumodischen Dinger gar nicht. Alles sieht klein und hübsch aus, aber man kann seine Persönlichkeit nicht entfalten, ohne dass sie über einen herfallen wie eine Horde von Wilden.«
Miss Marple lächelte.
»Sie haben viel Persönlichkeit zu entfalten, Cherry«, sagte sie.
»Glauben Sie wirklich?« Cherry freute sich und lachte. »Ich überlege…«, begann sie. Dann stellte sie das Tablett auf ein Tischchen neben der Tür und kehrte zum Bett zurück. »Ob Sie es wohl sehr unverschämt finden würden, wenn ich Sie etwas fragte? Ich meine – Sie brauchen nur zu sagen ›vollkommen unmöglich‹, und die Sache ist erledigt.«
»Soll ich etwas für Sie tun?«
»Nein, nicht ganz. Es handelt sich um die Wohnung über der Küche. Sie steht jetzt leer, nicht wahr?«
»Ja.«
»Ein Gärtner und seine Frau sollen da mal gewohnt haben. Doch das ist lange her. Ich habe mich gefragt – Jim und ich haben uns gefragt, ob wir sie haben könnten. Ob wir dort wohnen könnten, meine ich.«
Miss Marple starrte sie erstaunt an.
»Und was wird aus Ihrem schönen neuen Haus in der Siedlung?«
»Wir haben beide die Nase voll davon. Wir haben so viele Hobbys, aber dort ist kaum Platz dafür. Hier gibt’s genug, vor allem, wenn Jim den Raum über dem Stall haben kann. Er würde ihn neu herrichten und könnte alle seine Modelle unterbringen, ohne sie ständig wegräumen zu müssen. Und unsere Stereoanlage könnten wir auch dort aufbauen, dann würden Sie die Musik kaum hören.«
»Ist es Ihnen damit ernst, Cherry?«
»Ja, Miss Marple. Jim und ich haben es immer wieder besprochen. Jim könnte im Haus die Reparaturen machen – wenn ein Abfluss verstopft ist oder etwas klemmt oder locker ist. Und ich würde mich um Sie kümmern, genauso gut wie Ihre Miss Knight. Ich weiß, Sie halten mich für etwas unordentlich – aber ich würde mir große Mühe geben, mit den Betten und dem schmutzigen Geschirr… und ich bin eine ganz gute Köchin. Gestern habe ich Bœuf Stroganoff gemacht. Es ist ganz einfach. Wirklich!«
Miss Marple sah sie nachdenklich an.
Cherry glich einem übermütigen Kätzchen – sie strahlte Vitalität und Lebensfreude aus. Miss Marple
Weitere Kostenlose Bücher
Eis und Dampf: Eine Steampunk-Anthologie (German Edition) Online Lesen
von
Mike Krzywik-Groß
,
Torsten Exter
,
Stefan Holzhauer
,
Henning Mützlitz
,
Christian Lange
,
Stefan Schweikert
,
Judith C. Vogt
,
André Wiesler
,
Ann-Kathrin Karschnick
,
Eevie Demirtel
,
Marcus Rauchfuß
,
Christian Vogt