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Mord im Tal der Koenige - Historischer Roman

Titel: Mord im Tal der Koenige - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Rademacher
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Aber vielleicht ist mein Traum nicht der Spuk eines bösen Dämons, sondern ein Zeichen Amuns, wie es mir gelingen kann, wieder seiner Gnade teilhaftig zu werden. Er befahl mir: ›Geh zum Ort der Wahrheit!‹«
    Kaaper machte eine demütige Geste in Richtung Allerheiligstes. »Also bin ich in Set-Maat angekommen und ehre Amun in seinem bescheidenen Haus an diesem Ort. Seit zehn Tagen warte ich darauf, dass mir mein Gott ein neues Zeichen gibt oder mich gar genesen lässt – vergeblich. Dann geschieht plötzlich ein schrecklicher Frevel, der Tschati erscheint und jetzt bist du hier in Amuns Heiligtum. Ich weiß diese Zeichen nicht zu deuten, aber ich hoffe, dass sie von Amun selbst kommen. Vielleicht will er mich irgendwie auf die Probe stellen. Ich habe jedenfalls das Gefühl, als könnte ich schon wieder einen Hauch von Amuns Gnade auf mir ruhen spüren.«
    Rechmire murmelte ein kurzes Gebet. Er konnte Priester nicht leiden, seit er zehn Jahre alt war. Er hatte im Haus des Lebens im Tempel des Ptah das Schreiben gelernt. Er erinnerte sich noch immer mit Schaudern an die endlosen Stunden, die er damit verbracht hatte, komplizierte Hieroglyphen wieder und immer wieder auf unzähligen Kalksteinscherben zu kopieren, oder an die gefürchteten Augenblicke, an denen es galt, vor den Priestern Texte aufzusagen, die man vorher hatte auswendig lernen müssen. Wer ein falsches Wort vorgetragen, gestottert oder auch nur einen Augenblick zu lange innegehalten hatte, der wurde mit dem Rohrstock bestraft.
    Sie hatten den Priestern ihre Strenge mit manchen Streichen heimgezahlt. Doch als sich Rechmire und ein Freund eines Nachts ins Allerheiligste vorgewagt hatten, wurden sie von Priestern überrascht. Das Allerheiligste war ein kleiner, nur von einer Öllampe aus Alabaster erhellter Raum, in dem zwei Statuen standen: der thronende Ptah mit allen Zeichen seiner Herrschaft und die schreckliche, rächende Göttin Sechmet mit dem Löwenkopf. Es war eine Mutprobe gewesen und Rechmire und sein Freund waren zugleich stolz und angsterfüllt gewesen, als sie tatsächlich bis vor das Antlitz der Götter vorgedrungen waren. Doch ein Mitschüler hatte sie, wie sie später erfuhren, an die Priester verraten. Die Diener Ptahs waren hereingestürmt, hatten sie unter Verwünschungen in den Vorhof gezerrt und mit Stöcken geprügelt, bis sie das Bewusstsein verloren hatten.
    Rechmire hatte nie bezweifelt, dass sie für diesen Frevel eine gerechte Strafe erhalten hatten. Sie wären für immer aus dem Tempel gewiesen worden, wenn die Diener des Ptah in Theben nicht so arm gewesen wären, dass sie von den Eltern die Spenden auch jedes noch so missratenen Jungen benötigt hätten. Doch was er den Priestern nie verziehen hatte, das war der Ausdruck in ihren Gesichtern, als sie ihn im Scheine einiger Fackeln in jener Nacht blutig geschlagen hatten: Die Männer, die streng und fromm sein sollten, deren Gebete dem Lande Kemet Reichtum und Frieden und den Gläubigen das Wohlwollen ihres Gottes sichern sollten, hatten ihm mit einer Freude und Lust die Haut vom Rücken geprügelt, als wären sie blutrünstiger gewesen als gemeine Medjai.
    Seitdem glaubte Rechmire, dass Priester nichts anderes waren als faule Heuchler, die die Spenden des Pharaos und der Gläubigen verprassten und heimlich über alle Menschen spotteten, die für ihr Brot und Bier arbeiten mussten. Sein Misstrauen wurde noch größer, seit er als Schreiber Mentuhoteps erfahren musste, wie der Tschati und der Hohepriester Userhet um die Verteilung der Steuern feilschten, die weder dem einen noch dem anderen zustanden.
    Doch Kaaper war irgendwie anders. Welcher Heuchler würde für zehn Tage zum Ort der Wahrheit gehen? Selbst die Diener Amuns litten unter den Augenleiden, wie viele Menschen im Lande Kemet. Kaaper war nicht der erste vom trüben Blick geschlagene Priester, den Rechmire sah. Doch alle anderen hatten mit der verzweifelten Macht der Kranken nach Karnak gedrängt, um Amun mit ihrem Flehen so nah wie einem Sterblichen nur möglich zu sein. Jeder hätte einen Traum, wie Kaaper ihn gehabt hatte, auf Sehakek oder einen anderen bösen Dämon geschoben. Andererseits war Kaaper in der Hierarchie der Priester schon viel zu hoch aufgestiegen, um noch so naiv und fromm zu sein wie die Bauern, denen es verboten war, sich dem Allerheiligsten Amuns weiter als bis zum ersten Vorhof von Karnak zu nähern.
    »Ich wollte Amuns Gnade erflehen, damit ich den Frevel der vorvergangenen Nacht schnell

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