Mord im Tal der Koenige - Historischer Roman
hatte, die für seinen Totenkult und sein ewiges Leben im Westen sorgen würden. Ausgerechnet der Erste Schreiber am Ort der Wahrheit musste fürchten, dass sein Andenken nicht geehrt und seinem Ka nicht geopfert werden würde.«
»So ist es jetzt«, pflichtete ihm Kaaper bei. »Doch so hätte es nicht sein müssen. Ich glaube, Kenherchepeschef war in diesen Dingen guten Mutes, dass sich doch noch irgendwann ein Nachfahre eingestellt hätte. Denn er hatte erst vor vier Monaten geheiratet. Er hat sicher damit gerechnet, früher oder später noch Vater zu werden.« Der Priester machte eine demütige Geste in Richtung Allerheiligstes und murmelte: »Du wolltest es anders, mein Herr und Gott.«
»Kenherchepeschef hat mit fünfundfünfzig Jahren zum ersten Mal geheiratet?«, fragte Rechmire erstaunt. Seine Adoptiveltern waren schon besorgt, weil er mit zwanzig noch keine Frau in sein Haus geholt hatte. Und jeder Mann im Lande Kemet, der seinen fünfundzwanzigsten Geburtstag noch ohne Gemahlin feierte, konnte sicher sein, dass seine Nachbarn über ihn tuscheln würden.
Kaaper zuckte die Achseln. »Frag mich nicht nach seinen Motiven für diese Enthaltsamkeit. Er war vierundzwanzig Jahre lang Erster Schreiber am Ort der Wahrheit – eine Stellung, die schon sein Adoptivvater vor ihm eingenommen hatte. Sein Wort galt hier so viel wie das des Pharaos in Beiden Reichen und er hat dies, so habe ich Gerüchte gehört, auch weidlich ausgenutzt. Vielleicht wollte er nur nie seine unumschränkte Macht teilen, nicht einmal mit einer Gemahlin. Und erst auf seine alten Tage ist er in dieser Hinsicht milder geworden. Wer weiß?«
»Ich werde seine Witwe aufsuchen und ihr ein paar Fragen stellen«, entgegnete Rechmire eifrig, da er jetzt endlich ein klares Ziel hatte.
»Und den Führer der Medjai«, erinnerte ihn Kaaper lächelnd.
»Und zuallererst würde ich Sennodjem aufsuchen. Um zu seinem Haus zu gelangen, musst du die Dorfstraße bis zum Ende gehen und dich dann rechts halten. Es steht genau in der Ecke, wo sich die westliche und die südliche Stadtmauer treffen. Von seiner Dachterrasse aus kann er direkt auf sein Grab blicken, das er für sich und seine Familie in den Felsen oberhalb des Dorfes treiben lässt. Es wird bald das größte und prachtvollste Haus der Ewigkeit sein, das sich je ein Bewohner des Dorfes hat errichten lassen. Man könnte denken, dort soll dereinst ein hoher Beamter ruhen. Aber wer weiß? Vielleicht hofft Sennodjem wirklich, dass er als solcher sein Leben beschließen wird. Als Zweiter Schreiber ist er die höchste Autorität im Dorf, solange Mentuhotep keinen neuen Ersten Schreiber ernannt hat.«
Rechmire kam sich Kaaper gegenüber wieder wie ein Schüler im Tempel vor, der seine Hieroglyphen nicht richtig lesen konnte.
»Das ist ein guter Gedanke«, gab er zerknirscht zu. »Er würde vermuten, dass ich ihm nicht den nötigen Respekt entgegenbringe, wenn ich mit meinen Nachforschungen beginne, ohne mich vorher mit ihm zu treffen.«
»Und Sennodjem hätte ja auch Recht«, entgegnete Kaaper mit hinterhältigem Lächeln. »Du zeigst dem Zweiten Schreiber nicht die Achtung, die er glaubt, verdienen zu müssen. Sennodjem ist sehr aufmerksam und sehr, sehr empfindlich in diesen Dingen.«
Der Priester lud ihn mit einer Geste seiner Rechten ein, in die Mitte des Vorhofs zu treten. »Das freie Wochenende ist vorüber«, erklärte er. »In einer Stunde werden die meisten Arbeiter wieder zum Tal aufbrechen, um das Grab des Pharaos auszuschmücken. Viele werden den beschwerlichen Rückweg abends nicht auf sich nehmen, sondern alle acht Tage ihrer Arbeitswoche in kleinen Hütten oberhalb des Tals übernachten. Sennodjem wird mit ihnen ziehen. Wenn du ihn also noch sprechen willst, sollten wir uns beeilen. Ich bin lange genug Vorlesepriester gewesen. Viele Hymnen an Amun kenne ich auswendig. Ich werde ein kurzes Gebet auswählen, du sprichst mir nach. So zeigen wir Amun unsere Verehrung, ohne den ganzen Morgen in seinem Haus verbringen zu müssen.«
Kaaper stellte sich genau ins Zentrum des Vorhofes, breitete die Arme weit aus und hob den Kopf zum Himmel. Rechmire blieb hinter ihm stehen, beugte das Knie und streckte die Hände demutsvoll vor. Kaapers Stimme klang rau und gebrochen in dem engen, von Säulen umgebenen Hof. Er rezitierte einen kurzen Hymnus, den Rechmire nicht kannte. Dabei sprach der Priester schnell und etwas abgehackt, sodass Rechmire Schwierigkeiten hatte, alle Wörter zu verstehen und die
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