Mord im Tal der Koenige - Historischer Roman
noch Erben haben könnte!«, setzte er in Gedanken hinzu.
Sie waren vom Innenhof über die Leiter auf die Dachterrasse getreten. Eine dicke, schwitzende Matrone saß auf einer Decke und versuchte vergeblich, sich mit einem kleinen Wedel Luft zuzufächeln, denn inzwischen war es heiß und windstill geworden.
»Meine Gemahlin Webehet«, stellte Sennodjem sie vor.
Sie versuchte, sich schnaufend und ächzend von der Decke hochzustemmen. Rechmire war einen Augenblick lang versucht, dieses Schauspiel zu genießen, doch dann siegte seine Höflichkeit über seine Bosheit.
»Ich grüße dich, Webehet, und danke dir für die freundliche Aufnahme. Bitte erhebe dich nicht meinetwegen. Ich will dir keine Umstände machen.«
Erleichternd grunzend ließ sie sich wieder auf die Matte sinken. »Willkommen am Ort der Wahrheit!«, entgegnete sie zwischen zwei kurzen, schweren Atemstößen. »Ich bin sicher, dass du meinem Gatten bei der Suche nach diesem abscheulichen Verbrecher behilflich sein kannst.«
»Ich werde mein Bestes tun«, erwiderte Rechmire und bemerkte dabei, dass er sich in diesem Moment genauso ölig anhörte wie Sennodjem. So hatte sich der Zweite Schreiber das also gedacht. Sennodjem wollte dem Tschati den Mörder präsentieren und dafür Ruhm, Ehre und die sichere Beförderung zum Ersten Schreiber kassieren, während Rechmire leer ausgehen, ja vielleicht sogar als Versager dastehen sollte.
Sennodjem, du bist vielleicht doppelt so alt wie ich, dachte Rechmire grimmig, aber ich kenne mich mit den unsichtbaren Kriegen hinter den Palastmauern in Theben besser aus als du! Warte ab, ob du am Ende statt als scharfsinniger Held nicht als überführter Mörder vor Mentuhoteps Richterstuhl stehst!
Laut aber sagte er höflich: »Ich danke dir für dein Vertrauen, Webehet. Eben deshalb bin ich hier, um mich mit deinem Gatten zu beraten.«
Sennodjem verstand die Anspielung und klatschte in die Hände. Eine Sklavin kam die Leiter hoch, eine Syrerin, vermutete Rechmire. Sie war noch jung, obwohl ihr Gesicht müde aussah und ihre Hände rau waren von harter Arbeit. Die Sklavin war mindestens einen halben Kopf größer als er und kräftig, ohne dabei dick und unbeholfen zu sein. Rechmire sah erstaunt, dass auf ihrem linken Oberarm das Zeichen des Pharaos eingebrannt war. Merenptah besaß Tausende Sklaven, die in seinem Palast, auf seinen Landgütern, seinen Tempeln oder bei großen öffentlichen Aufgaben Arbeiten verrichten mussten. Verwundert fragte er sich aber, was eine von ihnen im Privathaus des Zweiten Schreibers am Ort der Wahrheit zu tun hatte. Rechmire wollte ihn darauf nicht ansprechen, nahm sich jedoch vor, später bei Kaaper oder auf anderem Wege Erkundigungen darüber einzuholen.
Sennodjem hatte sich selbstverständlich nicht die Mühe gemacht, die Sklavin vorzustellen. Er sah ihr zu, wie sie die Reste des Morgenmahls in einem großen Korb verstaute, bevor sie anschließend Webehet half, sich von der Matte hochzustemmen. Dann endlich verließen Herrin und Sklavin das Dach.
Der Zweite Schreiber sah den beiden nach, seufzte aus unerfindlichen Gründen und wandte sich dann wieder Rechmire zu.
»Ich habe nur noch wenig Zeit. In spätestens einer halben Stunde werde ich mit meinen Männern ins Tal der toten Pharaonen ziehen, damit wir mit den Arbeiten an Merenptahs Haus der Ewigkeit nicht in Verzug geraten. Was also schlägst du mir vor?«
Rechmire kochte vor Wut, weil er, wie ein Diener, aufgefordert worden war, Vorschläge zu machen – nicht Anweisungen zu geben oder wenigstens Fragen zu stellen. Trotzdem hatte er nicht überhört, dass Sennodjem die Arbeiter schon »meine Männer« genannt hatte, als sei seine Herrschaft über das Dorf bereits beschlossene Sache.
»Wie viele Menschen leben im Dorf?«, wollte er wissen.
Sennodjem sah ihn misstrauisch an. »Warum willst du das wissen?«
»Wer immer auch Kenherchepeschef den Dolch in die Brust gerammt haben mag – er muss aus Set-Maat gekommen sein«, sagte Rechmire leise. »Man kann nicht in den wenigen kurzen Nachtstunden von Theben oder einer Oase der westlichen Wüste bis ins Grab des Merenptah eindringen und wieder verschwinden. Die Wege sind zu lang. In einem Umkreis von vielen tausend Schritten gibt es kein anderes Dorf als dieses. Vielleicht hat er sich irgendwo in der Nähe für eine längere Zeit versteckt gehalten, aber das glaube ich nicht. Es ist den meisten Menschen im Lande Kemet verboten, sich diesem Tal zu nähern. Das Risiko wäre groß
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