Mord im Tal der Koenige - Historischer Roman
erhob sich aber erst, als Rechmire schon vor seiner Tür stand, um ihn ins Haus zu lassen. So musste der junge Schreiber einige Augenblicke vor der verschlossenen Pforte warten, hundert neugierige Blicke im Rücken, und er atmete schwer vor Zorn. »Willkommen in meinem Heim, Rechmire, Sohn des Raia, dem ich ein langes Leben und Gesundheit wünsche«, sagte Sennodjem mit aufgesetzter Beflissenheit, als er ihn endlich einließ.
Rechmire zwang sich zur Ruhe. »Ich danke dir für deine Gastfreundschaft«, entgegnete er so höflich, wie er es über sich bringen konnte. Er zwang sich sogar dazu, eine kleine Verbeugung anzudeuten.
Sennodjems Haus war ähnlich groß und eingerichtet wie das, welches er Rechmire angewiesen hatte. Es standen hier einige Truhen und Tische mehr im peinlich sauber gefegten Hauptraum, in dem es würzig-streng roch, weil jemand noch an diesem Morgen Flohkraut verbrannt haben musste, um Ungeziefer zu vertreiben. Wobei sich Rechmire nicht vorstellen konnte, dass sich je ein Käfer oder Floh in dieses Haus, in dem eine so penible Ordnung zu herrschen schien, wie er sie noch nirgends sonst gesehen hatte, verirren mochte. Erstaunt bemerkte er, dass eine große Stele links vom Divan dem Ptah geweiht war. Instinktiv neigte er das Haupt vor Ehrfurcht.
»Du weißt Ptah zu würdigen!«, rief Sennodjem überrascht und ehrlich erfreut.
»Ich habe zehn Jahre in seinem Tempel in Theben die Heiligen Zeichen zu schreiben gelernt«, erklärte Rechmire.
Zum ersten Mal schien das Lächeln des Zweiten Schreibers nicht mehr aufgesetzt, sondern echt zu sein. »Meine Ahnen stammen aus Memphis«, berichtete er stolz. »Meine Familie lebt zwar jetzt schon seit drei Generationen in Set-Maat, doch wir haben unsere Wurzeln nie vergessen. Deshalb verehren wir Ptah vor allen anderen Göttern, auch wenn wir hier die Einzigen sind, die es so damit halten.«
Rechmire sah ihn erstaunt an. »Ptah ist vielgestaltig und mächtig. Einer seiner Titel lautet: ›Oberster Leiter aller Handwerken‹, und deshalb wird er von den Bildhauern besonders verehrt. Ich dachte, dass gerade ihr, die ihr die Häuser der Ewigkeit des Pharaos und seiner Familie schmückt, Ptah täglich für diese Gnade danken würdet.«
Sennodjem schüttelte bedauernd den Kopf. »Die Menschen hier verehren selbstverständlich Amun. Sie beten Hathor an, die Göttin der Gräber, der Trunkenheit und der Liebe. Sie fürchten Meretseger, die kobraköpfige Herrin, die das Schweigen liebt und jeden mit Skorpionen straft, der die heilige Ruhe stört. Der wahre Gott des Dorfes aber ist Amenophis der Erste«, erklärte er.
»Aber Amenophis der Erste war Pharao vor dreihundert Jahren!«, rief der junge Schreiber.
»Du hast behalten, was dir die Priester des Ptah beigebracht haben«, entgegnete Sennodjem anerkennend. »Viele im Lande Kemet haben ihn längst vergessen, wie sie alles vergessen haben, was sich zutrug vor den Jahren der Herrschaft von Dem-dessen-Namen-niemand-nennt. Aber die Menschen des Dorfes verehren den zum Gott gewordenen Amenophis und seine Mutter Ahmose-Nofretiri als Gründer und Beschützer des Ortes der Wahrheit. Ob Amenophis tatsächlich der erste Pharao war, der sich in den versteckten Felsen sein Haus der Ewigkeit einrichten ließ, das weiß ich nicht. Noch nicht. Irgendwo im Haus des Ersten Schreibers stehen Tonkrüge, in denen die Pläne aller Gräber verzeichnet sind, ihre genaue Lage, ihre Form, ihre Ausdehnung, ja selbst die Schätze, die in ihnen für alle Ewigkeit uns Sterblichen verborgen sind. Wenn ich erst Erster Schreiber sein werde, dann werden auch diese Papyri mir gehören.«
»Du bist dir ziemlich sicher, dass dich der Tschati auf den Posten Kenherchepeschefs berufen wird«, bemerkte Rechmire kühl.
Sennodjem sah ihn beleidigt an. »Wen sollte der weise Mentuhotep denn sonst ernennen? Ich bin seit acht Jahren Zweiter Schreiber und nie hat sich jemand über mich beklagt, keiner der hohen Herren in Theben und kein Arbeiter des Dorfes. Ich habe vier Töchter, die ich alle an begabte Vorzeichner und Reliefbildhauer im Dorf verheiratet habe. Ich könnte meinen fähigsten und kinderreichsten Schwiegersohn zu meinem Nachfolger ausbilden, sodass Mentuhotep sicher sein kann, dass diese vertrauensvolle Position stets in derselben Familie bleiben wird, auch wenn ich längst meine Reise in den Westen angetreten haben werde.«
»Du hast an alles gedacht«, heuchelte Rechmire Lob. »Nur nicht daran, dass Kenherchepeschef in seinem Alter selbst
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