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Mord im Tal der Koenige - Historischer Roman

Titel: Mord im Tal der Koenige - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Rademacher
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bevor er anklopfte. Es dauerte ein paar Augenblicke, dann öffnete ihm Hunero die Tür. Sie hielt eine kleine Harfe in der Linken.
    »Du hast eine wundervolle Stimme«, begrüßte Rechmire sie ehrfürchtig. Dann nahm er sich zusammen, räusperte sich kurz und setzte betont kühl hinzu: »Allerdings hätte ich gedacht, dass du zurzeit ehrwürdige Totenhymnen singen würdest, keine leichtfertigen Gassenlieder.«
    »Du hast also gelauscht«, entgegnete Hunero, doch sie lächelte und bat ihn mit einer Geste hinein. »Mein verstorbener Mann mochte Texte, aber nicht die dazugehörige Musik, nicht einmal die heiligen Lieder aus den Tempeln. Er hat mir das Singen verboten. Ich bin deshalb jetzt noch etwas außer Übung. Aber das wird sich bald wieder geben.«
    »Was hat er dir noch alles verboten?«, fragte Rechmire und setzte sich auf einen prunkvoll geschnitzten, allerdings unbequemen Stuhl.
    »Fast alles«, antwortete sie und sah ihm dabei offen ins Gesicht.
    Rechmire hüstelte verlegen und wandte den Blick ab. Er hatte sich für einen erfahrenen Mann gehalten, seitdem ihm Baketamun ihre Gunst und ihren Körper geschenkt hatte, für einen Liebhaber, den keine Frau mehr in Verwirrung stürzen konnte. Doch Hunero brachte seine sorgfältig gepflegte Selbstbeherrschung durcheinander und führte seine Gedanken auf dunkle Pfade, die er nicht einmal im Geiste zu Ende gehen wollte.
    »Warum hat dich dein Gatte eingesperrt wie in einen Käfig?«, wollte er wissen. »Warum hat er sich selbst um das Vergnügen gebracht, deiner Stimme zu lauschen?«
    »Und noch um manche andere Vergnügen«, ergänzte Hunero und lächelte gequält.
    Rechmire schwieg lange, dann holte er tief Luft. »Bitte verzeih mir meine Fragen«, begann er vorsichtig, »die so persönlich sind, dass sie dir vielleicht nicht einmal ein Diener des Amun im Tempel zu stellen wagte. Aber ich bin verwirrt. Je mehr ich über Kenherchepeschef erfahre, desto rätselhafter scheint er mir gewesen zu sein.«
    Die junge Witwe sah ihn mit müdem Spott an. »Du meinst: Je mehr Fragen du stellst, desto mehr Menschen findest du, die einen Grund gehabt haben könnten, meinen Mann umzubringen. Du verdächtigst sogar mich.«
    Rechmire unternahm gar nicht erst den Versuch, dies zu leugnen. »Deine Hochzeit mit ihm lag gerade erst vier Monate zurück, doch nach allem, was ich gesehen und gehört habe, habt ihr euch nicht gerade wie ein frisch verheiratetes Ehepaar verhalten.«
    »Wir haben nicht aus Liebe geheiratet«, erklärte Hunero und musterte ihn kühl.
    »Sondern?«
    Sie machte eine vage Geste, die Rechmire zuerst nicht zu deuten wusste, bis ihm aufging, dass sie nach Westen wies – dorthin, wo die Toten gingen.
    »Du wirst dich nur am ewigen Leben erfreuen, wenn deine Nachfahren deiner regelmäßig gedenken und deiner Seele opfern. Sonst wird dein Ba als ruheloser Geist durch dieses Tal streifen, vergessen von allen und vergessen für immer«, sagte sie und machte eine Pause, bevor sie fortfuhr: »Kenherchepeschef hatte sein prachtvolles Haus der Ewigkeit vollendet, es liegt direkt am Südrand des Dorfes. Aber er hatte keine Kinder – und er wurde langsam alt. Also nahm er sich eine junge Frau, weil er noch rechtzeitig einen Sohn zeugen wollte, bevor er in den Westen eingehen würde.«
    »Und warum hast du dich darauf eingelassen, wenn du ihn nicht liebtest?«, fragte Rechmire.
    Sie seufzte und machte wieder eine unbestimmte Geste, die er diesmal nicht enträtseln konnte. »Ich bin die zweite Tochter einer armen Witwe. Ich hatte keine große Wahl«, antwortete sie.
    Er spürte, dass sie sich bemühte, möglichst gleichmütig zu wirken. Doch ihre Stimme zitterte leicht und ihre feingliedrigen Hände hatten sich um das geschwungene Ebenholz der Harfe verkrampft. Rechmire glaubte, dass sie ihm weder über die Gründe, die Kenherchepeschef zu der ungleichen Hochzeit geführt hatten, die Wahrheit gesagt hatte noch über ihre eigenen Motive für diese Ehe. Warum etwa hatte sich Kenherchepeschef nicht schon viel früher eine junge Frau genommen? Und wenn Hunero sich wirklich so sehr gefürchtet hätte, dass der Erste Schreiber sie und ihre Mutter vom Ort der Wahrheit verbannen würde – warum hatte sie dann nicht einfach einen der jungen Arbeiter geheiratet, auch wenn sie behauptete, keinen von ihnen zu lieben? Sie war jung, schön und hatte eine wundervolle Stimme – Rechmire war ziemlich sicher, dass Kenherchepeschef nicht der einzige Mann in Set-Maat gewesen war, dem diese

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