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Mord im Tiergarten - historischer Kriminalroman

Mord im Tiergarten - historischer Kriminalroman

Titel: Mord im Tiergarten - historischer Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: emons Verlag
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würde nicht mehr lange dauern, bis er ihn erwischen würde.

Pariser Platz
    Am Samstag verließ Otto sein Elternhaus und spazierte quer über den Pariser Platz. Obwohl er normalerweise Sonneneinstrahlung gut vertrug, hatte er sich gestern das Gesicht verbrannt, als er mit Moses auf dem Wannsee trainiert hatte. Sie waren alle Manöver gefahren, alle Kommandos durchgegangen und hatten die Regattastrecke abgesegelt, um sich die Verhältnisse einzuprägen. Sein Leibdiener hatte erschöpft gewirkt, weil er nachts Segeltheorie gepaukt hatte, aber er hatte sich etwas zugetraut. Er hatte seine Pinne beherrscht und ihm klare Anweisungen gegeben. Bei der morgigen Regatta würden sie eine eingespielte Bootsmannschaft abgeben. Otto konnte kaum erwarten, Professor von Trittin eine Lektion zu erteilen.
    Er erreichte die Südostecke des Palais Redern, in dem heute Igraines Ausstellung stattfinden würde. Graf Wilhelm Friedrich von Redern, der unter anderem mit Schlegel, Humboldt, Goethe und Mendelssohn bekannt gewesen war, hatte das einstige Kameke-Haus zu einem der prächtigsten Gebäude der Stadt umbauen lassen und es zu einem Treffpunkt für Künstler und Gelehrte gemacht. Nach seinem Tod hatte sein Neffe das Erdgeschoss der Kunsthandlung Eduard Schulte, die es an Atmosphäre durchaus mit den Salons der französischen Metropole aufnehmen konnte, gegen einen Mietzins überlassen.
    Otto schritt an der Front des Palais Redern vorbei und strich sich über den Bauch. Er wusste, dass in der Damenwelt stattliche Herren favorisiert wurden, aber natürlich durften sie nicht zu bauchlastig werden. Deshalb hatte er auf seine geliebten Kanapees verzichtet und sich mit Segeltraining, Schwimmen und Fahrradfahren ertüchtigt, was sich im Schmelzen seines Specks allmählich bemerkbar machte. Seine Vorfreude auf das Wiedersehen mit Igraine wuchs immer mehr. Trotzdem nahm er sich vor, nicht zu viel zu erwarten. Sie war sicher aufgeregt und würde ihm wenig Aufmerksamkeit schenken können, weil sie sich um Galeristen, Kritiker und Käufer kümmern musste. Hoffentlich würden sie am Ende der Ausstellung noch Zeit füreinander finden. Er hatte sich jedenfalls nichts weiter vorgenommen.
    Vor dem Portal stand ein Hausdiener in einer rot-blau gestreiften Livree, der sich verbeugte und ihm die Tür öffnete. Im Vestibül entrichtete er den Eintrittspreis und wurde dann von einem Mann in Empfang genommen, der unter einem schlichten blauen Rock einen weißen Stehkragen trug und militärisch die Hacken zusammenschlug.
    »Wenn Sie mir bitte folgen wollen«, sagte der Mann. »Die Ausstellung findet in den Salons statt, die zu den Linden rausliegen. Haben Sie sich mittlerweile für eine Zeichnung entschieden?«
    Die Frage überraschte Otto, aber dann fiel ihm auf, dass er den Mann kannte. Es war Walter Leiser, der Hausmeister der Malschule, der ihm vor einer Woche Igraines Bilder gezeigt hatte. Die hellen Brauen, die Eulenaugen und die empfindsam geschwungenen Lippen waren ihm gleich bekannt vorgekommen. »Ich denke, dass ich mir die Zeichnung von der verschmitzt dreinblickenden Putzfrau zum Geschenk machen werde.«
    »Da kommen Sie zu spät«, sagte der Hausmeister und öffnete ihm die Tür zum Salon. »Das Bild wurde bereits verkauft. Wie ich gehört habe, soll noch ein Gesandter der Mutter des Kaisers vorbeischauen, der bestimmt nicht mit leeren Händen gehen wird. Wenn Ihnen eine andere Zeichnung gefallen sollte, sollten Sie Ihr Gebot nicht hinauszögern.«
    Otto wusste, dass Victoria von Sachsen-Coburg und Gotha eine große Kunstliebhaberin war und mit ihrer liberalen Gesinnung den Verein der Berliner Künstlerinnen tatkräftig unterstützt hatte. Mittlerweile lebte sie in Kronberg im Taunus, schien aber immer noch die alten Kontakte zu pflegen. »Danke für den guten Rat. Ich werde ihn beherzigen.«
    Als Otto den Salon betrat, schlug ihm das Herz bis zum Hals. Er fühlte sich so aufgedreht wie ein Jüngling beim ersten Frühlingserwachen. Sogleich reckte er den Hals in alle Richtungen und hielt Ausschau.
    Die Kunsthandlung Eduard Schulte war dafür bekannt, dass die Ausstellungsräume mit elektrischem Licht beleuchtet wurden. Deshalb zeichneten sich das Interieur und das kulturelle Treiben klar ab. Zentral stand ein rundes Sofamöbel mit hoher Rückenlehne, auf dessen Spitze ein üppiges Blumengesteck thronte. Auf den Sitzpolstern hatten sich ältere Damen in schwarzen Spitzenkleidern und betagte Herren mit Spazierstöcken niedergelassen und musterten

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