Mord in Babelsberg
zu unerfahren, dachte Leo. Die Sonne stieg höher, es wurde wärmer, der Blutgeruch intensiver. Er trat beiseite und holte sein Notizbuch heraus, um einen Plan für die Befragung der Nachbarschaft aufzustellen. Sobald der Arzt seine Arbeit getan hatte und die Kollegen eingetroffen waren, würden sie damit beginnen.
Dr. Albertz wartete geduldig, bis Erkennungsdienst und Fotograf fertig waren. Dann stellte er die Tasche neben der Toten ab, kniete sich hin und streifte Handschuhe über. Er prüfte den Zustand der Blutlache und untersuchte den Körper sorgfältig auf weitere Verletzungen, bevor er die rechte Hand der Toten vorsichtig hochnahm und hin und her drehte. »Sie hat sich gewehrt.« Er deutete auf einen Schnitt, der quer über die Finger verlief. Dann schob er vorsichtig eine Hand unter die rechte Wange, an der eine blutverschmierte, silberblonde Haarsträhne klebte, und drehte den Kopf der Frau zu sich herum.
Die Hausmeisterin Maletzke sah Leo verwirrt an. »Wasser?«
»Ja. Ein Glas. Für mich.« Er sprach jedes Wort einzeln aus, als müsste er mühsam an sich halten. Sie nahm ein Glas aus dem Schrank, ging ans Spülbecken und füllte es.
Als er die Hand danach ausstreckte, merkte er, dass seine Finger zitterten. Rasch umfasste er das Glas und trank es in einem Zug aus. Die Küche kam ihm plötzlich unerträglich heiß vor.
»Ihr Kollege ist in der Stube«, sagte Frau Maletzke und deutete auf eine geschlossene Tür, an der Fotos aus Filmillustrierten hingen. Carla Vasary – ein neuer Stern? , las er flüchtig. »Schon die ganze Zeit. Mit der armen Frau. Wollen Sie ihr nicht ein bisschen Ruhe gönnen? Sie war völlig durcheinander. Ein Schock, hat der Arzt gesagt.«
Leo hielt ihr das leere Glas hin, ohne sie anzuschauen. »Danke.« Dann betrat er ohne ein weiteres Wort die Stube.
Auf einem dunkelbraunen Sofa mit gelb gemusterter Schondecke saß eine junge Frau – einfach, aber gut gekleidet, kurze dunkle Haare, goldgerahmte Brille. Als er Leo hörte, drehte Walther sich um. »Das ist Fräulein Gitta Bauer, die Zeugin, die die Tote gefunden hat.« Dann ging ein seltsamer Ausdruck über sein Gesicht; er stand auf und trat zu seinem Kollegen.
»Was ist mit dir?«, fragte er leise. »Du siehst furchtbar aus.«
Leo strich sich die Haare aus der Stirn und ging ohne ein Wort an ihm vorbei. Er setzte sich der Frau gegenüber. »Ich bin Kommissar Leo Wechsler.«
»Ich habe doch schon alles gesagt«, entgegnete Fräulein Bauer, die ein Taschentuch zwischen den Fingern knetete. Ihre Augen hinter der Brille waren trocken. Entsetzen war manchmal stärker als Tränen.
»Kennen Sie eine Marlene Dornow?«
»Ist das die … tote Frau?«
»Beantworten Sie meine Frage.«
Leo schaute zu Walther und bemerkte dessen überraschten Blick. »Die Handtasche. Sie hatte einen Ausweis dabei.«
Fräulein Bauer holte tief Luft. »Der Name sagt mir nichts. Und sehen konnte ich sie nicht, das Gesicht, meine ich. Die Haare waren davor. Und sie hatte den Kopf zur Wand gedreht. Ich wollte es auch gar nicht sehen.«
»Bist du mit der Befragung fertig, Robert?«, fragte Leo unvermittelt.
»Ja, ich habe Fräulein Bauers Aussage aufgenommen.« Er trat neben das Sofa und legte der Zeugin die Hand auf die Schulter. »Sie können jetzt gehen. Wir werden Ihnen die Aussage noch zur Unterschrift vorlegen. Außerdem müssen Sie sich für weitere Befragungen zur Verfügung halten.«
Walther half ihr beim Aufstehen. »Haben Sie jemanden, der sich um Sie kümmern kann?«
Sie nickte. »Meine Mutter ist zu Hause. Aber … ich muss zur Arbeit. Ich arbeite als Sekretärin in einer Spedition. Wenn ich einfach fehle, entlassen sie mich. Keiner weiß, wo ich bin.«
»Gehen Sie zu Wachtmeister Schmehl, er wird Ihnen weiterhelfen.«
Walther führte Fräulein Bauer nach draußen und übergab sie in die Obhut des Schupos. Dann kehrte er in die Stube zurück. »Würdest du mir bitte verraten, was mit dir los ist?«
Leo rückte sein Jackett zurecht und zog das Notizbuch aus der Tasche. »Hier, ich habe einen Plan aufgestellt, wie wir bei der Befragung vorgehen. Fang schon mal an. Jeweils vier oder fünf Leute pro Haus. Ich komme nach.«
In der Küche fing Frau Maletzke ihn ab. »Herr Kommissar, ich bin hier die Hausmeisterin. Ich muss wissen, was vorgeht, meine Pflicht …«
Leo unterbrach sie. »Mit Ihnen wollte ich ohnehin sprechen. Kennen Sie eine Marlene Dornow?«
»Ist ihr was passiert?«
»Beschränken Sie sich bitte darauf, meine Fragen
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