Mord in Babelsberg
auf Dauer nichts vormachen.
Leo blieb stehen und zündete sich eine Zigarette an. Auch das tat er sonst nie. Er rauchte abends oder gelegentlich in der Mittagspause, wenn sie bei Aschinger eine Suppe aßen, nicht aber um kurz nach sechs auf dem Weg ins Büro.
Es war ein Schock gewesen, als der Arzt den Kopf der Toten umgedreht und Leo das Gesicht gesehen hatte. Er kannte die Symptome: Herzklopfen, Schwitzen, Zittern. Als er zur Hausmeisterwohnung gegangen war, hatte er gespürt, wie ihm das Hemd am Rücken klebte. Er hatte die Hände in die Hosentaschen gesteckt, um das Zittern zu verbergen. Als er Robert gegenübertrat, hatte er die Zähne so fest zusammengebissen, dass es wehtat.
Marlen. Dass man einen Menschen so ganz und gar vergessen konnte, erschreckte ihn. Es war beinahe vier Jahre her, dass er sie gesehen hatte. Clara hatte alles verändert.
Er warf die halb gerauchte Zigarette weg, weil sich sein Magen unangenehm zusammenzog. Vor dem Warenhaus Lachmann baute gerade ein Schuhputzer seinen Stand auf.
»Schade um die Zijarette. Zwei Pfennje, der Herr, schon sind die Schuhe blank.«
Leo schüttelte den Kopf und hielt ihm die Zigarettenschachtel hin. »Mir ist heute nicht danach.« Er ging weiter, ohne auf den Schuhputzer zu achten, der überrascht und erfreut auf das unerwartete Geschenk in seiner Hand starrte. »Jenerös, der Herr.«
Die Vernunft sagte ihm, dass er den Fall abgeben musste, am besten sofort. Einfach zu Werneburg gehen und sich für befangen erklären, weil er die Tote persönlich gekannt hatte. Das wäre der saubere, ordnungsgemäße Weg; auch Robert würde ihm dazu raten.
Doch er konnte es nicht, das war ihm schnell klar geworden. Die ganze Nacht hatten ihn die Bilder verfolgt: Dr. Albertz, der neben der Toten kniete und ihren Kopf behutsam herumdrehte. Die blutverklebten Haare, das ganz besondere Silberblond, das bleiche Gesicht mit den starren, weit geöffneten Augen.
Es war nicht rational, nicht vernünftig, doch kam es ihm vor, als wäre er Marlene Dornow etwas schuldig.Carla Vasary frühstückte im Bett. Das gönnte sie sich selten, eigentlich nur an Premierentagen oder wenn sie einen neuen Freund hatte. Am schönsten wäre es natürlich, wenn sie es serviert bekäme, aber für Hauspersonal hatte sie kein Geld. Also musste sie es sich selbst in der Küche zubereiten und zum Bett tragen, was sich weniger luxuriös anfühlte. Doch der heutige Tag konnte alles verändern. Vielleicht würde sie demnächst ein Mädchen einstellen, passend zu der hübschen Wohnung in Wilmersdorf, die sie sich schon geleistet hatte und von ihren Gagen so gerade bezahlen konnte.
Sie schlug die Zeitung auf und musste gar nicht weit blättern, bis ihr das eigene Gesicht groß entgegenblickte. Bravo, Viktor, dachte sie. Die Exklusivvorführung hatte ihre Wirkung also nicht verfehlt.
H EUTE IN B ERLIN – DER NEUE G ROSSFILM
VON V IKTOR K ÖNIG
Gelingt es Viktor König mit diesem Werk, der König des deutschen Films zu werden? Der Verfasser hatte am Freitag die Gelegenheit, Die Insel des Magiers in einer exklusiven Vorführung im Hause des Regisseurs zu erleben. Neben Vertretern der Berliner Presse war auch die reizende Hauptdarstellerin Carla Vasary zugegen.
Wer?, mag sich mancher fragen. Ich wage zu prophezeien, dass nach der Aufführung des Films niemand mehr diese Frage stellen wird. Carla Vasary bringt mit ihrer zarten Erscheinung und überzeugenden Darstellungskunst die Leinwand förmlich zum Leuchten und ist eine wunderbare Partnerin für den allseits beliebten und geschätzten Rudolf von Hagen. Dieser konnte leider nicht zugegen sein, da er noch in Amerika weilte, wird aber für die heutige Premiere im Gloria-Palast am Kurfürstendamm erwartet.
Natürlich will ich dem Publikum nicht die Spannungnehmen, sondern die Vorfreude steigern: Dieser Film wird einer der großen Erfolge des Jahres 1926. Es dürfte schwer sein, ihn zu übertreffen. Aufgepasst, Herr Lang!
Carla lächelte stolz. Sie stand aus dem Bett auf, ging an den Sekretär und holte eine Schere, mit der sie den Artikel sorgfältig ausschnitt. Sie nahm eine Ledermappe aus der obersten Schublade und legte ihn hinein. Darin sammelte Carla alles, was über sie und ihre Filme in den Zeitungen und Illustrierten geschrieben wurde.
Nicht für sich selbst. Für ihren Vater. Eines Tages, wenn sie wirklich erfolgreich war, würde sie ihm die Mappe zeigen. Sie klappte sie zu und legte sie wieder in die Schublade. Wie immer, wenn sie an ihn
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