Mord in Babelsberg
Kabinett des Dr. Caligari . Das gefühlvoll gezeichnete Mädchen war sein Zugeständnis an die romantische Erwartung der Zuschauer, während die bunten Wirbel und der dämonische Blick des Hauptdarstellers seinen eigenen Wünschen entsprachen.
Er stieg aus seinem Hispano-Suiza Cabriolet, das er selbst zum Kurfürstendamm gesteuert hatte, und warf einem livrierten Portier die Schlüssel zu. Dann ging er um den Wagen herum und hielt Elly den Schlag auf. Sie trug ein Abendkleid aus weißer Seide, dessen tief angesetzter Rock glockig bis knapp unter die Knie fiel, und eine Pelzstola in derselben Farbe. Er reichte ihr den Arm und führte sie unter dem Jubel der Zuschauer zum roten Teppich.
Blitzlichter, entgegengestreckte Programmhefte, aufbrandender Applaus. Viktor König trank förmlich die Bewunderung der Menge, lächelte, winkte, immer darauf bedacht, dass Elly nicht beiseitegedrängt wurde, sondern dicht neben ihm blieb.
Dann plötzlich wurde das Geschrei lauter, die Köpfe drehten sich in eine andere Richtung, weg von ihnen und hin zu dem Daimler, der gerade vorfuhr. Rudolf von Hagen stieg aus dem Fond, elegant im Frack, und reichte einer jungen Frau in einem rosenholzfarbenen Abendkleid die Hand. Sie trug eine schimmernde Stola um die Schultern, in deren funkelnden Steinchen sich die Blitzlichter der Fotografen brachen.
»Zauberhaft«, sagte Elly neben ihm arglos.
König atmete durch und lächelte. »Nicht so zauberhaft wie du.«
Rudolf von Hagen und Carla Vasary schritten wie ein Königspaar über den roten Teppich, blieben stehen, posierten für die Fotografen, gaben Autogramme auf Programmheften und Filmillustrierten. Sie waren ein atemberaubendes Paar,auch wenn ihre Partnerschaft rein beruflicher Natur war. Von Hagens silbergraues Haar fand sein Pendant in Carlas Stola, und er lenkte sie beinahe väterlich über den Teppich, als wollte er sie vor den zudringlicheren Bewunderern schützen.
Vor dem Portal des Filmtheaters warteten König und Elly mit Alfred Hahn, um die beiden Hauptdarsteller zu begrüßen. Erneut tosender Applaus, als alle nebeneinander für die Fotografen posierten, ein letztes Mal winkten und die barocke Eingangshalle betraten.
König hatte als Werbemaßnahme hundert bevorzugte Eintrittskarten verlosen lassen. Die Gewinner würden nach der Vorführung den Hauptdarstellern persönlich begegnen und durften am Sektempfang mit Büfett teilnehmen. Diese hundert Gäste drängten sich in einer Ecke des Foyers, schüchtern und fasziniert angesichts der elegant gekleideten Menschen, die über den roten Teppich hereinströmten.
Auf ein Nicken des Kinobesitzers hin, der König und seine Begleiter in Empfang genommen hatte, ging der Regisseur zu der Gruppe hinüber.
»Ich möchte Ihnen herzlich gratulieren!« Er deutete mit einer ausholenden Geste auf die geschwungene Doppeltreppe und die Kronleuchter, die den hohen Raum in warmes Licht tauchten. »1200 Plätze, und die besten haben Sie. Mögen Sie in diesem wunderbaren Theater einen unvergesslichen Abend verbringen!«
Die Leute klatschten zaghaft, dann lauter, als würden sie sich jetzt erst ihres Glücks bewusst.
Der im Januar eröffnete Gloria-Palast war das luxuriöseste Kino in ganz Berlin. Hinter seiner Fassade mit den Bogenfenstern und spitzen Türmen verbarg sich eine Pracht, die eines Königs würdig gewesen wäre. Bei dem Gedanken musste er grinsen. Ohne jede Bescheidenheit.
Als er zu Elly zurückkehrte, reichte ihm ein Kellner im dunklen Frack ein Sektglas. Er nippte nur daran. Lieber nachher,dachte er, wenn das wohlige Kribbeln des Premierenfiebers verschwunden war.
Dann warf er einen Seitenblick auf Carla. Die Stola war die richtige Wahl gewesen, kein Zweifel. Er hatte auf der Karte, die dem Geschenk beigefügt war, nicht gelogen. Nach dem heutigen Abend würde ganz Berlin sie kennen.
»Was ist los, Leo?«, fragte Clara. Ihr Tonfall ließ ihn aufblicken. »Du schiebst seit fünf Minuten dein Essen auf dem Teller herum.«
Er legte das Besteck beiseite.
»Tante Ilse, deine Kartoffelpuffer sind am allerbesten«, sagte Marie und warf ihrer Tante einen tröstenden Blick zu. »Das sagt Vati sonst auch immer.«
Ilse legte Marie die Hand auf den Arm und schüttelte vorsichtig den Kopf.
»Hat es etwas mit diesem Fall in Breslau zu tun? Gibt es Neuigkeiten?«, erkundigte sich Clara.
»Darüber kann ich jetzt nicht sprechen.« Leo sah zu Georg und Marie, als wäre es ihre Anwesenheit, die ihn zum Schweigen zwang. Er stand auf,
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