Mord in Babelsberg
kaute auf seinem Mettbrötchen und schluckte, bevor er antwortete. »Sie kann ihm aus der Hand gefallen sein. Er hört jemand, gerät in Panik und flieht.«
Leo klopfte nachdenklich mit dem Stift gegen die Oberlippe. Dann schüttelte er den Kopf. »Die ganze Sache ist merkwürdig. Warum überhaupt eine Scherbe? Warum kein Messer mit Griff, das man leichter mit der Hand führen kann?«
»Wir wissen noch zu wenig, um das wirklich beurteilen zu können«, meinte Fritz Hasselmann.
In diesem Augenblick kam Sonnenschein herein und nickte in die Runde.
»Danke, Sonnenschein. Nehmen Sie Platz. Wir sind gerade an einem wichtigen Punkt.«
Sonnenschein nahm sich Kaffee und eine Schrippe mit Käse und setzte sich ans Ende des Tisches.
»Hasselmann, wo waren wir stehengeblieben?«
»Wir wissen noch sehr wenig. Hat der Täter die Frau gekannt? Hat er die Tat geplant? Oder war es ein spontanes Verbrechen?«
»Da es sich weder um ein Sexualdelikt noch um einen Raubmord zu handeln scheint, können wir davon ausgehen, dass er sein Opfer vorsätzlich ausgewählt hat. Daher besteht Grund zu der Annahme, dass er Marlene Dornow gekannthat. Je mehr wir über sie und ihre Lebensumstände erfahren, desto eher werden uns die Erkenntnisse zu ihm führen«, meinte Walther.
»Ganz deiner Meinung«, sagte Leo. »Aber ich möchte noch einmal auf die Scherbe zurückkommen. Sie erscheint mir irgendwie … bedeutungsvoll. Angenommen, er hatte wirklich kein Messer zur Verfügung oder wollte keines benutzen. Warum dann nicht die erstbeste Bierflasche zerschlagen? Warum ausgerechnet rotes Glas?«
Walther sah ihn nachdenklich an. »Da ist was dran. Es könnte von Bedeutung sein. Oder der Täter ist gerissen und hofft, dass wir genau so denken.«
»Oder er hatte eben gerade so eine Vase oder etwas Ähnliches bei sich zu Hause«, meinte Hasselmann.
Leo blieb skeptisch. Sein Instinkt täuschte ihn selten, und er sagte ihm, dass die Scherbe nicht zufällig als Tatwaffe gewählt worden war. Aber die Kollegen hatten recht, sie wussten noch zu wenig.
»Was haben Sie in der Bank herausgefunden?«, fragte er Sonnenschein. Der konnte seine Zufriedenheit nicht verhehlen.
»Auf den Konten war kaum Geld. Aber das Bankschließfach ist voller Schmuck. Wir müssen ihn abholen lassen, ich wollte es nicht riskieren, damit in die Bahn zu steigen.«
»Das war richtig«, sagte Leo. »Wertvoll?«
»Ich glaube schon. Aber das ist nicht alles.« Er holte die kleine Karte aus der Tasche und reichte sie Leo.
Meinem verehrten Fräulein Dornow in tiefer Bewunderung, Eduard Hellwig , stand darauf.
Früher waren es kleinere Fabrikanten gewesen, die Marlens Lebensunterhalt gesichert hatten, Geschäftsleute, höhere Bankangestellte, der eine oder andere gut verdienende Künstler. Doch der Mann, dessen Namen er hier las, war weitaus bedeutender. Eduard Hellwig. Abgeordneter desReichstags. Enger Berater von Außenminister Gustav Stresemann.
Leo atmete hörbar ein und sah die Kollegen an. Dann klopfte er mit den Fingerknöcheln auf die Karte. »Ich glaube, da muss sich jemand warm anziehen, meine Herren. Und wir müssen auf Zehenspitzen schleichen.«
7
Vor dem Gloria-Palast gegenüber der Gedächtniskirche drängte sich eine Menschenmenge, die von Schutzleuten zurückgehalten wurde, damit sie nicht vor lauter Begeisterung den roten Teppich stürmte, der vor dem Eingang ausgerollt worden war. An der romanischen Fassade prangte ein riesiges Plakat, auf dem Rudolf von Hagen im Kostüm des Johann Kunckel von Löwenstern, des Magiers von der Pfaueninsel, dargestellt war. Lange Lockenperücke, elegant geschwungener Schnurrbart, brokatbesetzter Gehrock, weißes Spitzenhalstuch und ein Blick, der sich geradewegs in die Seelen der Zuschauer zu bohren schien. Links davon, kleiner als er, aber dennoch unübersehbar, war Carla Vasary abgebildet, die statt der kurzen braunen Haare eine Perücke mit blonden Engelslocken trug. Sie blickte sehnsüchtig zu dem Alchemisten empor. Der Hintergrund war abstrakt gehalten, ein Mahlstrom, in dem die Farben Rot, Grün und Schwarz dominierten.
Viktor König präsentiert
RUDOLF VON HAGEN
in
Die Insel des Magiers
Nach einer wahren Begebenheit
Als seine Gefährtin erstmals: CARLA VASARY
Eigentlich hätte Viktor König das Plakat lieber ganz schlicht gehalten, im Stil seines neuen Hauses, wusste aber, dass er die Gefühle des Publikums berücksichtigen musste. Der abstrakteHintergrund war ein Kompromiss gewesen, eine Hommage an Das
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