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Mord in Babelsberg

Mord in Babelsberg

Titel: Mord in Babelsberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Goga
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öffnete das Fenster und zündete sich eine Zigarette an.
    Ihm war klar, dass Clara und Ilse Blicke tauschten, doch das war ihm egal. Seit zwei Tagen sah er immer wieder die silberblonden Haare und die klaffende Schnittwunde vor sich, die weiße Hauswand mit den roten Spritzern, die zwei Meter in die Höhe reichten.
    Tote waren für ihn niemals nur Fälle, sondern Menschen mit einer Geschichte. Wer sie als beliebige Objekte betrachtete, als bloße Begleiterscheinungen seines Berufs, war seiner Ansicht nach falsch in der Mordinspektion. Doch das hier ging tiefer. Denn Leo erinnerte sich an Marlens Hals, wie er früher gewesen war, glatt und weiß und makellos und zart parfümiert. In der Intimität ihres Schlafzimmers hatte er sich heutewie ein Eindringling gefühlt, obwohl ihm sein Verstand sagte, dass er nur seine Arbeit tat. Er hatte kurz gezweifelt, ob seine Entscheidung, den Fall zu behalten, wirklich richtig gewesen war. Doch er hatte sich bei der Durchsuchung professionell verhalten, trotz der Gefühle, die ihn kurzzeitig übermannt hatten. Und er wollte den Täter finden, um Marlens willen. Oder  – falls es ihm nicht gelingen sollte, den Fall zu lösen  – wenigstens wissen, dass er alles versucht hatte.
    »… Hausaufgaben?«
    »Was?« Er drehte sich abrupt um und sah Georg hinter sich stehen. »Tut mir leid, was hast du gesagt?«
    »Erklärst du mir die Hausaufgaben, Vati? Zinsrechnung, damit komme ich nicht zurecht.«
    Leo drückte die Zigarette aus und wollte mit Georg ins Kinderzimmer gehen, doch Clara kam ihm zuvor. »Ich helfe dir.«
    Ilse trug die Schüssel mit dem Apfelmus in die Küche, während Marie die leeren Teller zusammenräumte. Das Mädchen zögerte, als es den Teller des Vaters nahm, und warf ihm einen Blick zu. Leo atmete tief ein und sagte dann: »Gib mal her.«
    Sie reichte ihm den Teller, und er aß, was noch darauf war.
    Marie grinste. »Gut so. Du musst groß und stark werden.«
    Plötzlich wurde ihm bewusst, wie sehr sie gewachsen war. Die kindlichen Formen verschwanden allmählich, ihr Gesicht war schmaler geworden. Er hatte eine hübsche Tochter. Plötzlich dachte er doch an Breslau, und sein Herz krampfte sich zusammen.
    Mit einer raschen Bewegung stellte Leo den Teller auf den Tisch und zog Marie an sich, als könnte er sie so vor all dem Bösen, das draußen lauerte, schützen. Er spürte, wie sie einen Moment zögerte, dann die Arme um ihn schlang und sich an seinen Bauch drückte.
    Als Ilse wieder hereinkam und sie umarmt stehen sah, lächelte sie.
    Das Orchester war exzellent, die Musiker handverlesen. Sie begleiteten die Szenen des Films so vollkommen, dass die Zuschauer ganz und gar hingerissen waren. Manche pressten die Hand vor den Mund, andere umklammerten die gepolsterten Lehnen ihrer Sessel und bissen sich vor Anspannung auf die Lippen.
    Die Schlösser der Kurfürsten, die Außenaufnahmen von der Pfaueninsel, die viele Besucher von Wochenendausflügen kannten, aber noch nie in solch geheimnisvollem Licht gesehen hatten, die ausdrucksvollen Gesichter der Schauspieler, die liebevoll gestalteten Zwischentitel.
    Als das Orchester nach dem Abspann verstummt war und der Vorhang sich geschlossen hatte, herrschte völlige Ruhe im weiten Saal.
    Genau diesen Augenblick liebte Viktor König. Es war, als stünde er am Rand eines Abgrunds. Der nächste Moment entschied über Rettung oder Absturz, über Erfolg oder Niederlage. Dann, zaghaft zunächst, als müssten die Menschen aus ihrer Verzauberung erst erwachen, regte sich etwas im Zuschauerraum, Beifall durchbrach die Stille, schwoll an, wurde zu einer gewaltigen Welle, die durch den Saal rollte und sich donnernd an den Wänden brach. Bravo-Rufe ertönten, das Publikum verlangte nach Regisseur und Darstellern, und auf ein Zeichen hin traten König, Rudolf von Hagen und Carla Vasary auf die Bühne und verneigten sich. Die Stimmung des Films schien noch in dem barocken Interieur des Filmtheaters nachzuhallen, spiegelte sich in den üppig dekorierten Decken, den geschwungenen Treppen mit dem schmiedeeisernen Geländer, die auf die Bühne führten, der Leinwand, die von verspielten Schnörkeln umgeben war wie ein antiker Bilderrahmen.
    Jemand warf einen Blumenstrauß. König hob ihn auf und hielt ihn in die Höhe. Als sich der Lärm gelegt hatte, schaute er in den Saal: »Ich danke Ihnen. Zumindest werfen Sie nichtmit faulem Obst.« Gelächter. »Nein, ganz im Ernst, ich bin gerührt über den Applaus und trete nun beiseite. Die

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