Mord in Babelsberg
der hellen Lichter der Großstadt waren Sterne zu sehen. Es wäre schön, mit Clara spazieren zu gehen. Doch bei dem Gedanken an sie überkam ihn ein beklemmendes Gefühl.
Er zwang sich, schneller zu gehen.
Als er die Wohnungstür aufschloss, sah er, dass durch die angelehnte Schlafzimmertür Licht in den Flur fiel.
Er legte den Hut auf die Garderobe, hängte den Mantel an einen Haken und stieß behutsam die Tür auf. Clara saß im Bett und klappte ihr Buch zu, als er hereinkam. Das braun schimmernde Haar fiel ihr ins Gesicht.
»Hattest du einen schönen Abend?«, fragte sie in einem Ton, der keine Gefühlsregung verriet.
»Ja. Roberts neue Freundin kann wirklich gut singen. Wir sollten einmal zusammen hingehen, wenn sie auftritt.« Ein Versöhnungsangebot.
Er zog die Weste aus und hängte sie über einen Stuhl,streifte die Schuhe ab und fing an, sich das Hemd aufzuknöpfen. Eigentlich wollte er von der kuriosen Vorstellung in dem Kellerlokal erzählen, spürte aber, dass Clara nicht danach zumute war.
Er warf das Hemd in den Wäschekorb und holte seinen Pyjama unter dem Kopfkissen hervor. Statt sich weiter umzuziehen, setzte er sich auf die Bettkante und drehte sich zu Clara. »Was ist los?«
Sie presste die Lippen aufeinander, sagte dann aber leise: »Ich verstehe dich nicht. Du bist in den letzten Tagen so … anders. Gestern Morgen bist du in aller Herrgottsfrühe aus dem Haus gelaufen. Heute dann dieser Albtraum. Und abends ziehst du los und amüsierst dich mit Robert und Sonnenschein, als wäre nichts gewesen?«
Wäre Clara nicht Clara, hätte er geglaubt, sie sei eifersüchtig auf sein Abendvergnügen. Doch das konnte es nicht sein. Sie hatte eigene Freunde und Bekannte, sie war keine Frau, die nur darauf wartete, dass ihr Mann abends von der Arbeit kam.
»Jeder träumt mal schlecht. Es war nicht das erste Mal in meinem Leben.«
»Aber das erste Mal, seit wir … in einem Zimmer schlafen.« Sie schaltete ihre Nachttischlampe aus.
Er ging ins Bad und putzte sich die Zähne. Kämmte sich die Haare. Stützte sich auf den Rand des Waschbeckens und betrachtete das weiße Porzellan, als könnte es ihm einen Rat geben.
Dann begriff er. Das Gefühl, das ihn überkam, wenn er Clara ansah und an Marlen dachte, war Scham. Darum wollte er nicht von ihr erzählen. Es war unangenehm, an die Pelze und teuren Kleider in Marlens Schrank zu denken, an die kostspieligen modernen Möbel, den Schmuck aus dem Safe. An Hellwig. An die anderen Herrenbekanntschaften. An sich selbst. Und an den Vater, der nicht ahnte, wovon seine Tochter gelebt hatte.
Zum Glück hatte Viktor König oft genug den Maskenbildnerinnen zugesehen, sonst hätte er an diesem Abend nicht unter Menschen gehen können. Seine Wange tat höllisch weh und färbte sich unter Ellys Schminke, die er kunstvoll aufgetragen hatte, vermutlich gerade blau, doch das war ihm egal. Um nichts in der Welt hätte er sich den Wohltätigkeitsabend im Club der Filmindustrie entgehen lassen und damit die Gelegenheit, den triumphalen Erfolg seines neuen Films auszukosten. Es gab nichts Schöneres, als sich unter seinesgleichen zu bewegen und die Blicke zu spüren, das Getuschel hinter sich zu hören, auch den Neid zu genießen, der ihm von manchen Seiten entgegenschlug. Viktor König hatte sich nie vor Neidern gefürchtet, sondern sie stets als Bestätigung betrachtet.
In Berlin gab es dreihundertfünfzig Filmtheater, und in vielen davon lief Die Insel des Magiers . Die Menschen standen Schlange, es war sogar zu einer Auseinandersetzung gekommen, weil sich jemand angeblich vorgedrängt und die letzten Karten weggeschnappt hatte. Carla Vasarys Name war in aller Munde und auf den Titelseiten, sie war der Star von morgen.
König unterhielt sich ausgezeichnet und prüfte zwischendurch auf der Herrentoilette, ob die Schminke noch hielt.
Er plauderte lange mit Rudolf von Hagen und ließ sich von Hollywood erzählen. »Wie wäre es, wenn wir uns zusammen etwas überlegen und es den Jungs dort drüben vorstellen?«, fragte Rudi und schlug ihm auf die Schulter. »Ich weiß, du willst Alfred nicht untreu werden, aber denk doch nur, Amerika –«
Es klang wirklich verlockend, und König genoss es, sich die Möglichkeiten auszumalen, die ihm nach diesem Erfolg offenstanden.
Als er sich auf den Heimweg machte – er hatte kurz gezweifelt, ob er den eigenen Wagen nehmen sollte, sich dannaber für fahrtüchtig erklärt –, konstatierte er zufrieden, dass niemand nach seiner
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