Mord in Babelsberg
im Vorbeifahren, und Leo löste sich lachend von Clara. Dann bemerkte er ihren Blick. »Du … wirkst so verändert. Was ist denn?«
Er schaute sie an, alle Leichtigkeit war verflogen, und es versetzte ihr einen Stich. Sie waren seit zweieinhalb Jahren verheiratet, und doch spürte sie manchmal seine Angst, sie zu verlieren. Dabei war sie es doch, die ihn am liebsten nie mehr loslassen würde, weil sie immer noch nicht glauben konnte, dass er ihr Mann war.
Sie wandte sich ab und kniff die Augen zu, um die Tränen einzusperren. Sie holte zitternd Luft und zuckte zusammen, als sie Leos Hand auf ihrer Schulter spürte. Er drehte sie zu sich um und nahm ihr Gesicht in die Hände. »Sieh mich an, Clara. Was ist mit dir?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll.«
»Möchtest du wieder nach oben?«, fragte er, und sie hörte die Ratlosigkeit in seiner Stimme.
»Nein.« Sie schluckte. »Lass uns ein Stück gehen.«
Leo legte den Arm um ihre Schulter, doch sie wich kaum merklich zur Seite, und er ließ ihn wieder sinken. Sie musste etwas sagen, dachte sie verzweifelt. Sie hatte ihm schon die Stimmung verdorben, und er hatte die Wahrheit verdient.
»Es geht um Kinder«, begann sie schließlich. Dumm, das klang dumm. »Ich … wir haben nie darüber gesprochen, ob du dir noch ein Kind wünschst.«
»Natürlich hätte ich gern ein Kind mit dir. Die letzten Jahre waren schwer, da habe ich gedacht …«
Sie schaute ihn von der Seite an. Er hatte die Hände in die Hosentaschen gesteckt und ging leicht vorgebeugt, wobei ihm eine widerspenstige dunkle Haarsträhne ins Gesicht fiel. In diesem Augenblick liebte sie ihn so sehr, dass sie kaum atmen konnte.
»Wir haben gewartet, auf bessere Zeiten. Aber jetzt, wenn du möchtest …« Er blieb stehen und schaute sie erwartungsvoll an.
»Leo, ich … ich war bei einer Ärztin.«
Sie sah, wie sich seine Augenbrauen zusammenzogen. Eine dünne Falte grub sich in seine Stirn. Dann veränderte sich sein Gesichtsausdruck, und sie begriff, was er dachte. Sie streckte unwillkürlich die Hand aus und berührte seine Wange. »Es geht mir gut. Ich bin nicht krank.« Er sprach selten über Dorothea, doch sie hatte die Angst in seinen Augen gesehen. Der Tod seiner ersten Frau in der großen Grippeepidemie war schrecklich für ihn gewesen. »Aber – die Ärztin hat mich untersucht und festgestellt, dass ich keine Kinder bekommen kann.« Es war heraus. Sie atmete tief durch und schaute ihn an.
Er sagte nichts, sondern legte seine Hand über ihre undhielt sie fest. »Ich bin froh.« Er wurde rot. »Unsinn, ich meine, ich bin froh, dass es nichts … dass du gesund bist.«
Clara spürte, wie eine gewaltige Last von ihr abfiel. Der erste Schritt lag hinter ihr. »Lass uns weitergehen.«
Er legte ihr den Arm um die Schultern und zog sie wieder an sich. Sie ahnte, dass er etwas sagen wollte, aber noch nach den richtigen Worten suchte.
»Ist es sehr schlimm für dich?«, fragte er dann. »Wir haben Georg und Marie, und ich weiß, dass du sie lieb hast, aber wenn du dir ein eigenes Kind wünschst …«
»Leo, ich wünsche mir vor allem, mit dir zusammen zu sein«, sagte sie mit fester Stimme. »Natürlich wäre ich sehr glücklich gewesen, wenn wir ein gemeinsames Kind bekommen hätten, aber – mein Glück hängt nicht davon ab.« Sie zögerte. »Wir haben zwei Kinder, die ich beide sehr liebe. Und da ist die Bücherei. Du weißt, wie wichtig sie mir ist.« Sie verstummte, weil ihr die Worte plötzlich kalt erschienen, obwohl sie so nicht gemeint waren.
»Mein Leben mit dir ist vollkommen, und es ist mehr, als ich mir vor vier Jahren erhofft hätte«, sagte er leise und sah zur Seite, als schämte er sich seiner offenen Worte. »Wenn du mit diesem Leben, das wir haben, glücklich bist, bin ich es auch.«
Sie blieb unvermittelt stehen. Als er sich zu ihr umdrehte, lehnte sie sich an ihn und atmete seinen Geruch ein.
2
MONTAG, 7. JUNI 1926
Leo verließ die S-Bahn am Hackeschen Markt und ging das letzte Stück zu Fuß. Die Sonne schien ihm warm auf den Rücken, und er bedauerte, dass er den größten Teil des Tages im Büro würde sitzen müssen. Es war ihm gelungen, von dem schönen Sonntag, den er mit Clara und den Kindern am Wannsee verbracht hatte, ein bisschen Unbeschwertheit in die Woche hinüberzuretten. Er hatte Claras Erleichterung gespürt, sie schien beinahe zu schweben. Nach dem Bad im See hatten sie sich auf einen Steg gesetzt und den Kindern beim
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