Mord in Babelsberg
blass, die grünen Augen vom Weinen gerötet. Ihr glattes, dunkles, beinahe japanisch anmutendes Haar war zu einem exakten Pagenkopf geschnitten. Sie putzte sich die Nase und tupfte sich die Augen ab. Dann stand sie auf und gab ihm die Hand.
»Irene Petzold. Ich bin sofort gekommen. Falls Sie mir Fragen stellen wollen. Das ist doch üblich, oder?«
Sie trug ein schwarzes Kleid, dessen Schlichtheit es umso teurer aussehen ließ.
»Bitte.« Leo deutete auf sein Büro. »Fräulein Meinelt, zwei Tassen Kaffee, bitte. Und Sie nehmen das Gespräch auf.«
Nachdem die Tassen auf dem Tisch standen und Fräulein Meinelt sich diskret an den anderen Schreibtisch gesetzt hatte, schaute Leo Fräulein Petzold aufmunternd an. »Ich dankeIhnen, dass Sie gekommen sind. Wir haben bisher keine Freundinnen ermitteln können, und Verwandte hatte die Tote in Berlin wohl auch nicht.«
Irene Petzold trank von ihrem Kaffee, obwohl er noch dampfte. »Nein, die Familie lebt in Pommern. Sie ist damals ganz allein nach Berlin gekommen.«
»Seit wann kannten Sie Marlene Dornow?«
»Seit 1919. Es war die schwierige Zeit gleich nach dem Krieg. Jeder versuchte, irgendwie zu überleben, im Chaos seinen Weg zu finden. Wir haben uns in einem Lokal kennengelernt und auf Anhieb verstanden. Ich stamme auch aus der Provinz, wir hatten viel gemeinsam.«
»Inwiefern?«, fragte Leo. Insgeheim vermutete er, dass Irene Petzold auf dieselbe Art wie Marlen ihr Geld verdiente. Die beiden Frauen mussten ein spektakuläres Paar abgegeben haben.
»Sie wissen, wovon Marlen gelebt hat?« Er registrierte, dass auch sie den verkürzten Namen benutzte. Die plötzliche Vertrautheit traf ihn wie ein Stich. »Und wollen jetzt erfahren, ob ich meinen Lebensunterhalt auf die gleiche Weise bestreite?«
»Ich will nur erfahren, in welchen Kreisen die Tote verkehrte, welche Männerbekanntschaften sie pflegte, wie es um ihre Einkünfte bestellt war und ob sie Feinde hatte.«
Irene Petzold senkte den Kopf, um einen imaginären Fleck von ihrem Kleid zu wischen, wobei ihr die schwarzen Haare wie ein Vorhang ins Gesicht fielen.
»Wir waren abends oft gemeinsam unterwegs. In Nachtclubs, Restaurants, Theatern, Cafés. Überall dort, wo wir auf adäquate Herrenbekanntschaften hoffen konnten.« Sie sagte es so selbstverständlich, als ginge es um eine Stelle im Büro. »Wir erregten mehr Aufsehen, wenn wir zusammen ausgingen.« Sie deutete auf ihre Haare. »Marlen war so blond. Ihr Haar war wie Silber.« Sie schluckte, ihre Augen glänzten.
»Ich kannte nicht alle ihre Freunde. Wir trafen uns vor allem dann, wenn wir beide gerade … frei waren. Allerdings weiß ich, dass sie zuletzt mit einem Politiker verkehrte. Einem ziemlich hochgestellten, wie sie erzählte.«
Er nickte. »Das deckt sich mit unseren Ermittlungen. Haben Sie von dem Mord an Viktor König, dem Filmregisseur, gehört?«
»Nur flüchtig. Ich habe die Schlagzeilen im Vorbeigehen am Bahnhofskiosk gesehen. Warum?«
Leo trank seinen Kaffee aus und schob die Tasse beiseite. Dann legte er die Hände flach auf die Tischplatte und schaute Marlens Freundin an. »Wir vermuten, dass es sich um denselben Täter handelt.«
»Aber …« Sie wirkte aufrichtig erstaunt. »Das verstehe ich nicht. Wenn Marlen ihn gekannt hätte – ich meine, das wäre aufregend gewesen, sie hätte es mir bestimmt erzählt. Vielleicht ohne seinen Namen zu nennen, aber sie hätte es sicher nicht verschwiegen.« Sie biss sich auf die Unterlippe. »Manchmal war es wie ein Spiel zwischen uns. Das mag albern klingen, aber wir versuchten, einander zu übertrumpfen.«
»Was den Ruf oder das Vermögen Ihrer Freunde anging?«, fragte Leo, wobei eine leise Ironie in seiner Stimme mitschwang.
»Genau«, erwiderte sie ungerührt. »Einmal lag sie vorn, dann wieder ich. Nicht sehr moralisch, aber amüsant.«
»Moral interessiert mich hierbei nicht«, sagte er. Im Zimmer war es schon warm, weil die Sonne durchs Fenster schien. Er löste seine Manschettenknöpfe, legte sie in die oberste Schublade und krempelte sich die Ärmel hoch. »Sie meinen also, Fräulein Dornow hätte Ihnen eine Affäre mit Viktor König nicht verschwiegen.«
»Bestimmt nicht.«
»Bleiben nur zwei Möglichkeiten: Entweder hat sie ihn nicht gekannt, oder ihre Beziehung zu ihm war anderer Natur.«
Irene Petzold zog die Augenbrauen hoch. »Anderer Natur?«
»Geschäftlich.«
»Dazu kann ich Ihnen nichts sagen. Außerdem waren Privatleben und Geschäft bei Marlen mehr oder
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