Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mord in Der Noris

Mord in Der Noris

Titel: Mord in Der Noris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Kirsch
Vom Netzwerk:
verstreichen lassen.«
    Nachdem sie nichts darauf sagte, fuhr er fort. »Bei
mir war es der Dreißigste. Ab dann, hatte ich gedacht, geht alles bergab, wird
alles bedeutungslos, mein Leben, hatte ich befürchtet, ist im Großen und Ganzen
gelaufen. Jetzt ist es mir egal, wie alt ich bin oder werde. Du weißt ja, in
drei Jahren feiere ich meinen Sechzigsten, und ich freue mich sogar darauf.
Dass ich es geschafft habe, diese Schallmauer zu durchbrechen. Oder banal
gesagt: dass ich noch am Leben bin. Vielleicht ist für dich der Fünfzigste, was
bei mir der Dreißigste war.«
    Genau, dieser fünfzigste Geburtstag, der war durch die
Ereignisse des Tages ja unverdientermaßen in den Hintergrund gerückt. Wenn
Heinrich morgen wieder da war, würde sie sich darum als Erstes kümmern. Jetzt
aber rief sie in der Kriminaltechnik an, um vom Anrufbeantworter zu erfahren,
dass weder Klaus Dennerlein noch Klaus Zwo derzeit zu sprechen waren. Auch das
würde also bis morgen warten müssen.
    Heinrich fehlte ihr. Am liebsten wäre sie auf der
Stelle heimgekehrt, um diesen wirren Tag mit einer Flasche elsässischen
Rieslings möglichst schnell zu einem wenigstens erfreulichen Ende zu bringen.
Doch dann entschied sie sich anders. Sie las sich ihre Notizen durch, die sie
sich bei der aparten Nachbarin von Elvira Platzer gemacht hatte, und nahm ihre
Jacke vom Kleiderhaken.
    Die Mutter der Toten wohnte in der Pilotystraße, einer
Querstraße zur Pirckheimerstraße. Sozusagen in ihrer Nachbarschaft. Sie hatte
beschlossen, mit der Büroarbeit für heute Schluss zu machen und noch einen Teil
ihrer Pflichten abzuarbeiten. Nach den Informationen, die sie bisher gesammelt
hatte, war Elvira Platzers Mutter die Person, die ihr am nächsten stand. Der
würde sie demnächst sowieso die Nachricht vom Tod ihrer Tochter überbringen
müssen, und da leider nichts dagegen sprach, dies gleich jetzt zu tun, mussten
ihr Keller und das Weinlager eben noch ein wenig auf sie warten. Außerdem würde
sie versuchen, etwas von dem Leben und der Person der Elvira Platzer zu
erfahren. Schon allein deswegen, damit sie Heinrich morgen etwas vorweisen
konnte.
    Paula, die ihre heftige Abneigung gegen jede Art
sportlicher Betätigung mit Umsicht und Langmut pflegte, hatte sich entschieden,
auf den Dienstwagen zu verzichten und in die Pilotystraße zu Fuß zu gehen. In
ihren Augen war das ein mehr als vollwertiger Ersatz für zwei Stunden Plackerei
in einem dieser grotesken Fitnessstudios. Nur eben wesentlich gesünder, weil
vielseitiger.
    Als sie den Burgberg erklommen hatte und nun den
Vestnertorgraben entlanglief, bereute sie ihr gesundheitsförderndes Vorhaben.
Das hätte doch auch bis morgen Zeit gehabt, zumal sie jetzt direkt vor ihrer
Wohnung stand. Der Weinkeller, ihr Sofa, ein gemütlicher Ausklang dieses
konfusen Tages – alles in greifbarer Nähe. Kurz sah sie zu ihrem Küchenfenster
hinauf, um dann entschlossen und zügig weiterzugehen.
    Beim Abbiegen in die Pilotystraße gingen ihr Frieders
Worte durch den Kopf. Die heftigen Emotionen, die bei dem Mord offenbar im
Spiel gewesen waren. Also große Gefühle wie Liebe, Hass, Eifersucht, Rache. Für
all das schien ihr Elvira Platzer mit ihrer zugemüllten Behausung und ihrer
offensichtlichen Einsamkeit so gar keinen Anlass gegeben zu haben. Trotzdem war
sie durch diesen Aspekt der tödlichen Leidenschaft noch neugieriger als ohnehin
geworden.
    Es war immer wieder ein ganz besonderer Aspekt ihrer
Arbeit, in die Leben ihrer Opfer einzutauchen, ein Puzzleteil nach dem anderen
herauszugreifen und zu einem Ganzen zusammenzufügen, bis sie sich ein genaues,
klares Bild von demjenigen machen konnte, der umgebracht worden war. Was hatte
ihre Opfer angetrieben, was war ihnen wichtig gewesen, wovor hatten sie Angst
gehabt, wie hatten sie ihren Alltag organisiert, wie sah das soziale Umfeld
aus? Für Paula war das alles hochinteressant. Jedes Mal aufs Neue.
    Die dunklen Wolken dieses Dienstags hatten sich
verzogen. So betrachtete sie mit Wohlgefallen die herausgeputzten, gepflegten
Vorgärten mit ihren abgedeckten Zierbrunnen und den immergrünen Büschen, die
die Miniaturvillen aus der Gründerzeit links einrahmten. Es roch nach
vermoderndem Gras und Laub. Schließlich hatte sie die Pirckheimerstraße
überquert und stand vor dem lang gezogenen Wohnblock, der in den sechziger
Jahren als das Nonplusultra städtearchitektonischer Modernität in der
Nürnberger Nordstadt gegolten hatte und der mittlerweile von der

Weitere Kostenlose Bücher