Mord in Der Noris
Ihren Eindruck,
den Sie von diesen wenigen Zusammenkünften hatten. An irgendetwas müssen Sie
sich doch erinnern können.«
»Ich kann mich an nichts mehr bei dieser Person
erinnern, an gar nichts mehr«, sagte Frank Weber in einer Weise, die sein
Gesicht so leblos erscheinen ließ wie eine erstarrte Fliege in Bernstein. »Und
meine Töchter auch nicht.«
»Wo waren Sie am vergangenen Montag um dreiundzwanzig
Uhr?«
»Wir waren alle drei hier und haben ferngesehen.«
Das Gespräch war jetzt, nach nicht einmal zwei
Minuten, an einem aussichtslosen Punkt angekommen. Heinrichs Notizblock lag
noch in demselben Zustand vor ihm wie zu Beginn seiner Befragung – leer, ohne
einen einzigen Eintrag.
»Damit wäre unsere Unterredung vorerst beendet. Oder,
Frau Steiner?«, sagte Heinrich und wollte sich soeben aus dem Sessel schälen.
Für die Hauptkommissarin sah es ganz danach aus, als
hätten die drei Webers exakt diese Fragen von ihnen erwartet, so emotionslos,
wie die Antworten darauf gekommen waren. Dann waren es die falschen Fragen
gewesen. Zeit, endlich ein paar richtige Fragen zu stellen. Sie gab Heinrich zu
verstehen, dass er sitzen bleiben solle.
»Nein, noch nicht ganz. Haben Sie derzeit Schulden, Herr
Weber?«
Er sah sie mit großen Augen an, die Bernsteinfliege
schien zum Leben erwacht zu sein. »Nein, ich habe keine Schulden. Wie kommen
Sie denn da drauf?«
Ja, wie kam sie darauf? Durch Heinrich und seine
leider sehr flüchtige Einsichtnahme in Webers Kontoauszüge. Noch bevor sie sich
eine amtliche, einigermaßen glaubwürdige Antwort zurechtlegen konnte,
sekundierte ihr Heinrich bereits mit der Geschmeidigkeit des versierten
Lügners.
»Uns liegen Zeugenaussagen vor, dass dem so sei. Und
wir sind natürlich – speziell bei einem solchen Kapitalverbrechen –
verpflichtet, dem nachzugehen.«
»Das ist ja eine Frechheit, so was! Rufschädigung ist
das!«, schrie Jeannette Weber im hellen Diskant. »Das lassen wir uns nicht
gefallen. Dagegen gehen wir gerichtlich vor. Wer behauptet so was, wer war das?
Los, sagen Sie uns die Namen!«
»Aber Frau Weber«, sagte Paula in dem milden,
nachsichtigen Tonfall einer Kindergärtnerin, die ihre Schutzbefohlenen schon
zum x-ten Mal zur Ordnung rufen muss und davon leicht genervt ist, »das dürfen
wir Ihnen doch nicht sagen. Das wäre ja gegen sämtliche Vorschriften. Also,
halten wir fest, keiner von Ihnen hier hat momentan Schulden? Da habe ich Sie
doch richtig verstanden, oder?«
»Natürlich nicht. Das haben wir doch schon gesagt«,
lautete die schnelle Antwort von Jeannette Weber, die mittlerweile auf dem Sofa
neben ihrem Vater Platz genommen hatte und betont gelangweilt die Augen
verdrehte.
»Gut, dann können wir ja in aller Ruhe Ihre Angaben
dazu und die unserer Zeugen abgleichen. So, das wäre geklärt.«
»Was verstehen Sie denn unter Schulden?«, fragte Tanja
Weber und sah dabei auf ihre von Spliss ausgedünnten Haarspitzen. Es war ihr
erster Beitrag zu diesem Gespräch, und im Gegensatz zu ihrer Schwester gab sie
sich Mühe, ruhig und herablassend zugleich zu wirken.
»Unter Schulden verstehe ich Kredite, Rückstände,
Verbindlichkeiten. Gegenüber der Hausbank zum Beispiel. Ist Ihnen das Wort
nicht geläufig?«
»Und wenn man sein Konto mal überzieht, wie das jedem
einmal passiert? Was ist dann? Sind das in Ihren Augen auch Schulden?«
»Frau Weber, fürs Fragenstellen bin ich hier zuständig.
Jetzt noch mal: Haben Sie Schulden, ja oder nein?«
»Ich glaube«, Tanja Weber lächelte sie ironisch an,
»eher nein. Oder doch? Vielleicht. Vielleicht auch nicht.«
»Schon recht. Nächste Frage. Welchen Beruf haben Sie
und üben Sie ihn auch aus oder sind Sie arbeitslos?«
Auch das schien eine richtige, eine gute Frage zu
sein, wenn man die erstaunten bis unruhigen Reaktionen darauf richtig deutete.
»Wozu wollen Sie das wissen?«, fragte die jüngere der
Weber-Schwestern nach.
Und wieder war es Heinrich, der mit seiner Antwort
eine nette Kostprobe seiner Phantasie, gepaart mit einer großen Portion an
Reaktionsschnelligkeit, zum Besten gab.
»Wir brauchen immer ein klares Profil der Angehörigen,
um Rückschlüsse auf den oder die Mörder unserer Opfer ziehen zu können.«
Ein Satz, der sich in keinem Lehrbuch zur
kriminalpolizeilichen Befragung fand. Weil er so blöd- wie unsinnig war, der
aber hier in dieser Doppelhaushälfte ernst und für voll genommen wurde.
»Ich war fast dreißig Jahre Lagerverwalter bei der
Quelle«, meldete sich
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