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Mord in Der Noris

Mord in Der Noris

Titel: Mord in Der Noris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Kirsch
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Vielleicht M. nicht wie
Mutter, sondern M. wie Melitta, das war doch auch denkbar, oder? Wer hatte
diesen enttäuschten Kalendereintrag von 2009 zu verantworten und wer die Tote
2008 zum Geburtstag eingeladen?
    Mittlerweile war es in der Küche dunkel geworden.
Paula stand auf und schaltete das Deckenlicht ein. Jetzt fehlte nur noch der
letzte Kalender, der vom vergangenen Jahr, dann endlich kämen ihre
»Fischstäbchen + Joghurt« auf den Tisch. Keine besonderen Vorkommnisse im
ersten Drittel von 2011, wenn man von dem neuen Zeitvertreib der
Tagebuchschreiberin absah. In den Monaten Januar bis April fanden sich gehäuft
Vermerke wie »Schlachthof angesehen« oder » TV :
gemütlicher Film aus den 50ern«, »Die 12 Geschworenen« und »Grete Weiser
im Fernsehen (köstlich!)«.
    Paula hatte kein Fernsehgerät in der Wohnung gesehen,
wahrscheinlich hatte die Platzer bei ihrer Nachbarin, bei Frau Vogel, diese
köstlichen und gemütlichen Sendungen verfolgen dürfen. Direkt von dem
gemütlichen und köstlichen sonnengelben Sofa aus.
    Im Mai tauchten dann wie aus dem Nichts plötzlich
»Treffen mit den Meinen« auf. Treffen mit den Meinen? Zuverlässig jeden Samstag
oder, wenn die Platzer da arbeiten musste, dann am Sonntag. An diesen »Treffen
mit den Meinen«-Tagen trat alles andere in den Hintergrund: Die vormittäglichen
und abendlichen Kalenderabschnitte waren dann leer. Also stimmte die Sache mit
den samstäglichen Besuchen, die Elvira Platzer ihrer Nachbarin erzählt hatte.
Zumindest ab Mai letzten Jahres. Aber wer waren diese »Meinen«? Auf Paula
wirkte dieser geschraubte und pathetische Ausdruck befremdlich, er passte so
gar nicht zu dem lakonischen Stil der bisherigen Rapporte über das Aufstehen,
Heimkommen, Einkaufen.
    Und doch, je länger sie darüber nachdachte, irgendwie
waren die »Meinen« auch wieder passend. Diese Formulierung signalisierte in
ihrer Bemühtheit die überschwängliche Freude, die Elvira Platzer über diese
Treffen empfunden haben mochte. Ja, mehr noch, sie kündete von deren Stolz,
dass sie nun auch so etwas wie eine Familie, nahe Angehörige vorzuweisen hatte.
Das Unbehagen in der Gegenwart, das aus ihren Notizen bislang gesprochen hatte,
schien an diesen Tagen nicht zu existieren. Ihre große Sehnsucht nach einem
intakten Familienleben hatte sich wohl mit diesen »Treffen mit den Meinen«
erfüllt.
    Doch schon ab Anfang November mehrten sich die
Anzeichen, dass auch diese Phase des Aufschwungs bald ein Ende haben sollte.
Die Treffen fanden nur noch selten statt. »Kein Treffen«, »Treffen entfällt«
und »heute wieder allein« bestimmten jetzt die Eintragungen. Kurz vor
Weihnachten der Vermerk »Die wollen nur mein Geld«. Dann endeten die Einträge.
Die restlichen Blätter in dem Kalender waren leer, und für 2012 existierte
keiner mehr. Elvira Platzer hatte resigniert. In ihrem Kampf gegen das Chaos
und in ihrem Streben nach Anerkennung und Liebe.
    Als sie die Fischstäbchen in das heiße Öl legte, kam
ihr das Leben der Toten wieder einmal erschreckend trist und sinnlos vor. Als
ein Leben ohne jede Sicherheit mit der ständigen Angst vor Verlust, der sie mit
Horten und Sparen entgegenzusteuern versuchte. Als eine einzige Tragödie, die
schicksalhaft auf ihr unseliges Ende zusteuerte. Und bei der im ständigen
Gegenschnitt der Perspektiven Erwartung und Enttäuschung abwechselten. Nur
einmal, ab Mai letzten Jahres, schien diese unendliche Geschichte der
Unsicherheit sich zum Guten gewendet zu haben. Und das Testament, zu dem sie
sich Anfang Januar aufgerafft hatte? Leicht würde ihr das nicht gefallen sein,
denn Notare, zumal solche mit Sitz am Hauptmarkt, verlangten Geld für ihre
Dienste. Also musste ihr dieser Gang sehr wichtig gewesen sein. Letztlich
bestätigte es diese bittere Erkenntnis. Als Gegenmittel zu der Habgier der
»Meinen«. Auch eine Art Rache.
    Als die Fischstäbchen, zwei Joghurtbecher und der
biodynamische Retsina aus dem Pilion auf dem Tisch standen, stellte Paula ihre
Arbeit ein. Verbot sich, weiter über die Tristesse der Elvira Platzer zu
grübeln. Zumal sich auch deren stumme Menüempfehlung als Schlag ins Wasser
herausgestellt hatte. Als nahezu ungenießbar und wenig sättigend. Hinzu kam die
Enttäuschung über den so sauren wie klebrigen Retsina, der ihr noch Stunden
später aufstieß.
    Am nächsten Morgen weckte sie der Hunger. Ein
opulentes Frühstück mit einem Oberpfälzer Bio-Ei entschädigte sie für die
Katastrophe des gestrigen Abends. Sie

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