Mord in der Vogelkoje
hätte es gewusst, aber wahrscheinlich nicht der Dienstmann, der keiner war. Und der Portier hatte nicht daran gedacht und auch keinen Verdacht geschöpft, zumal sein Interesse nur der Rechnung gegolten hatte.
Der Mann mit der Bodensee-Lockente hatte eine falsche Heimatadresse angegeben, war am Donnerstag nicht mit der Morgenfähre abgefahren, hatte angeblich mit Papiermark bezahlt, obwohl Schweizer Franken wahrscheinlicher waren, und hatte einen Besuch bei Petersen gemacht, den dieser verschwiegen hatte.
Degenhardt war ein größeres Rätsel, als es am Anfang den Anschein gehabt hatte.
Während der Zug durch die Dünen ratterte, legte Asmus sich alle möglichen Erklärungen zurecht, aber keine befriedigte ihn wirklich. Als er kurze Zeit später im Bahnhof ankam, musste er nicht mehr wie noch im vergangenen Jahr vom Ostbahnhof zum Südbahnhof hetzen, um in den Zubringerzug nach Hörnum zu springen. Jetzt gab es einen gemeinsamen Kleinbahnhof, und Asmus stieg gemütlich in den Zug nach Hörnum, von wo bald das Schiff nach Hamburg ablegen würde. Die einzige andere Möglichkeit, die Insel zu verlassen, war das Dampfschiff. Degenhardt hätte sich mit der Kutsche hinbringen lassen können, nachdem die Frisia erst abends fahren sollte.
Die Lokomotive stand bereits unter Dampf, aber Asmus schaffte es noch rechtzeitig. Warum konnten sie eigentlich die Abfahrtszeiten nicht aufeinander abstimmen?
Bei den wenigen Leuten, die nach Hörnum wollten, fand Asmus leicht einen Fensterplatz. Während der ruckelnden Fahrt notierte er sich alles, was er von Mart erfahren hatte. Die Informationen, was er von wem zu welcher Zeit erfahren hatte, durften nicht durcheinandergeraten.
Als der Leuchtturm von Hörnum in Sicht kam, fiel Asmus wieder der Angestellte der Dampfschiffgesellschaft mit den unwillig gegebenen Auskünften ein, mit dem er es im vergangenen Jahr zu tun gehabt hatte.
Aber es kam anders. Der junge Mann, der an diesem Tag die Fahrgäste abfertigte, bat ihn freundlich, bis zur Abfahrt des Dampfers zu warten, dann habe er Zeit.
So lange spazierte Asmus durch den Hafen, betrachtete sich die Fischerboote und blieb schließlich neben dem Dampfschiff stehen. Es handelte sich deutlich um ein reines Passagierschiff, das offensichtlich keine Fracht beförderte. Auch das sprach dafür, dass – was auch immer in der künftigen Fabrik von Kampen hergestellt werden sollte – nicht über Hörnum nach Hamburg, sondern zunächst mit der Munkmarsch-Fähre zum Festland befördert werden würde. Und später mit dem Zug über den Wattenmeer-Damm.
Das zweimalige Tuten des Dampfers signalisierte, dass er nun nach Backbord ablegen würde, und Asmus schlenderte ins Kontor zurück.
Was er für Asmus tun könne, fragte der freundliche Angestellte.
»Es ist wahrscheinlich eine schwierige Frage«, gab Asmus gleich zu Anfang zu. »Ich suche nach einem Herrn Degenhardt, der am letzten Donnerstag im April entweder an Krücken herangehumpelt ist oder in einem Rollstuhl an Bord gebracht wurde.«
»Haben wir gleich«, antwortete der Angestellte und blätterte blitzschnell ein paar Listen durch. »An dem Tag brachten tatsächlich zwei Sanitäter einen Mann auf einer Trage an Bord.«
Asmus zog überrascht die Augenbrauen nach oben. Damit hatte er nicht gerechnet.
»Aber er hieß nicht Degenhardt. Der Kranke kam von der Westerländer Klinik, um in das Neue Allgemeine Krankenhaus in Eppendorf gebracht zu werden. Irgendwas mit dem Herzen hatte er, und seine Frau war sehr aufgeregt.«
»Nun, das ist er nicht«, befand Asmus mit einiger Erleichterung, weil er sich also doch nicht derart vergaloppiert hatte, wenn auch damit sein Problem nicht gelöst war.
»Einen Herrn Degenhardt finde ich weder vorher noch später.« Der Mann hatte inzwischen mehrere Seiten überflogen. »Sofern Sie sich nicht im Monat geirrt haben, ist er mit uns nicht abgereist.«
»Das ist in Ordnung. Das wollte ich vor allem bestätigt haben. Ich danke Ihnen vielmals für die Hilfe. Ich werde gerne wiederkommen.«
»Tun Sie das, Herr Wachtmeister.« Sein einladendes Grinsen folgte Asmus bis zur Tür.
Am Haltepunkt der Kleinbahn in Dikjen-Deel hätte Asmus aussteigen können, um zur Eidumer Vogelkoje zu gelangen, aber dann hätte er Ose enttäuscht, weil es ihr gemeinsamer Ausflug sein sollte. Ohne einen Toten erwarten zu müssen und ohne erschreckende Schüsse in der Umgebung.
Ob er Matthiesen und Jep schicken konnte, um dem Schützen aufzulauern? Oder würde man ihm
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