Mord in der Vogelkoje
Hand und zog ihn mit sich. »Komm, Nis, wir setzen uns in den Garten.«
Die Bank stand in der Nähe des Uferabbruches, so dass der Blick ungehindert über die See schweifen konnte. Eine Glocke von Düften umgab sie, als sie still nebeneinander Platz genommen hatten: blühender Flieder und Pflaumenbaum, feuchte Erde und eine unbestimmbare Mischung aus Kräutern und Blumen.
»Der Mond lässt das Meer heute Nacht schimmern, gelegentlich blitzt das Wasser auf, und ich stelle mir vor, dass da eine Schweinswalmutter mit ihrem Jungen schwimmt«, sagte Ose fast ehrfürchtig.
»Vielleicht ist es ja auch Ekke Nekkepenn, der nach dir Ausschau hält … Wassermänner lieben schöne Frauen, heißtes.« Liebevoll ließ Asmus die Finger durch Oses offenes Haar gleiten.
»Nein, ich möchte lieber an Wale denken«, entschied Ose. »Glaubst du denn an Wassermänner?«
»Oh, ja. Manche Wassermänner sind freundlich und hilfsbereit, Ose, du musst ihnen nichts Falsches unterstellen. Zuweilen geleiten sie ein Schiff durch den Sturm in den sicheren Hafen. Ich denke, ich habe manchmal schon solche Begleitung gehabt. Zwei Mal bei achterlichem Starkwind, als ich mich in der Schlei in Sicherheit bringen wollte. Vor Schleimünde liegt eine Barre, und es läuft bei bestimmten Winden eine scheußliche Grundsee. Aber der dort zuständige Nöck ritt auf den Wellen, die meine Franziska wie einen Korken herumwarfen, besänftigte sie und schob mich heil in den Hafen von Maasholm hinein.«
»Wirklich?«
Asmus nickte und lächelte versonnen. Er würde jetzt gerne da draußen neben einem Priel ankern und sich vom auflaufenden Wasser in den Schlaf wiegen lassen.
Er mochte gar nicht daran denken, dass ihm trotz aller Erfahrung im Beruf heute Nacht im Halbschlaf wieder schießwütige Enten und fetttriefende Konservendosen auf Krankenbahren im Kopf herumgeistern würden.
»Ich hole dir einen Becher Johannisbeersaft«, versprach Ose beschwichtigend, die Asmus’ Unruhe spürte.
Am Morgen war Asmus, ohne von Entendosen geträumt zu haben, endlich einmal ausgeschlafen und guter Dinge, bis ihm einfiel, dass er als Erstes die Blaue Maus überprüfen sollte.
Das Nachtlokal befand sich in der Nähe der Promenade, in der vordersten Häuserzeile, von der man Aussicht auf die See hatte. Verschwendung, dachte Asmus, als er vor demHaus stand. Diese Gäste interessierten sich bestimmt nicht für die See.
Die Tür war offen, und er trat ein. Eine junge Frau von stämmiger Gestalt und schwarzen Haaren unter dem Kopftuch wischte gerade den Boden zwischen zierlichen Tischen, die ihrer Sitzgelegenheiten beraubt worden waren. Die Polsterstühle standen aufgereiht an den Wänden.
»Moin. Ist wohl der Besitzer zu sprechen?«, fragte Asmus.
Die Frau unterbrach ihre Arbeit und stützte das Kinn auf den Schrubberstiel. »Jetzt? Am Morgen? Die Mäuse sind nur nachts da, blau oder nüchtern, auch die Obermäuse.«
Asmus grinste. »Gibt es eine Getränkekarte?«
»Die gibt es.« Die Frau wies hinter sich zur Theke. »Bedienen Sie sich, Herr Kriminalkommissar.«
Asmus schritt zur Theke. Es gab zur Auswahl eine bewundernswert ausführliche Reihe von Cocktails und anderen alkoholischen Getränken, aber keine Preisangaben. »Ab wann ist abends geöffnet?«, erkundigte er sich.
»Ab fünf.«
»Gut, danke! Fröhliches Putzen weiterhin.« Asmus verließ das Lokal, hörte aber noch ihr herzhaftes Lachen, nachdem die Tür längst zugefallen war.
Asmus kehrte zur Wache zurück. In List würde Matthiesen und ihn ein ergiebigeres Gespräch in angenehmerer Umgebung erwarten. Kapitän Volkert Hendriksen würde sich vermutlich ungeschmälert auf die Seite des Rechts stellen, wenn er weitere Tatsachen erfuhr. Ein zu Untergebenen so harter Mann wie Petersen hatte von ihm bestimmt weder Nachsicht noch Treue zu erwarten.
Zum Glück war Hendriksen zu Hause. Er verabschiedetegerade zwei Nachbarn in dänischer Sprache und freute sich sichtlich, die beiden Polizisten zu sehen.
»Haben Sie etwa schon alles aufgeklärt?«, fragte er, während er seine neuen Gäste an den Küchentisch bat, drei Gläschen Aquavit eingoss und jedem eines hinschob. »Skål«, sagte Hendriksen, was Asmus erwiderte, während Matthiesen bei »Prost« blieb.
»Nein, im Gegenteil«, antwortete Asmus. »Es wird immer komplizierter. Wir haben es inzwischen mit zwei Morden zu tun und ernstzunehmenden Anzeichen für geschäftlichen Unterschleif bei den Kojenabrechnungen. Deswegen sind wir hier.«
»Sieh an. Die
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