Mord in der Vogelkoje
der Schütze längst über alle Berge, aber in dem Fall wäre die Entfernung für einen Schrotschuss zu weit. Jenseits des Schilfgürtels gelangte Asmus auf einen schmalen Streifen Sandstrand. Nirgends fand er Fußspuren. Dem Schützen war es gelungen, sich zwischen Heidepflanzen und Heckenrosen hindurch auf dem Dünenzug Hoogenkamp in Sicherheit zu bringen.
Jede weitere Suche war zwecklos. Asmus machte sich auf den Rückweg.
Wieder sprang er über Gräben und sah an mehreren Stellen Löcher in den Grabenwänden, wo in den Gängen dahinter möglicherweise früher einmal Brandgänse genistet hatten.
Dann fiel Asmus etwas ein. Es war unwahrscheinlich, dass der Kerl zur Mittagszeit mit dem Gewehr unter dem Arm durch Kampen wandern würde. Er musste das Gewehr unterwegs bei der Flucht versteckt haben.
Die Brandgansröhren!
Er kehrte um und suchte die Röhren ab. Im dritten Gang fühlte er einen harten länglichen Gegenstand, der in einer Ölhaut eingewickelt war, wie man sie auch auf See benutzte. Als Asmus ihn herausgezogen und ausgewickelt hatte, lag vor ihm im Schilf eine doppelläufige Flinte.
Asmus fiel in Laufschritt, um schnell zu Matthiesen zurückzukommen. Der hatte schon bemerkt, dass Asmus nichts passiert war, hatte das Motorrad bereits aufgerichtet und sah Asmus gespannt entgegen. Er hielt seinem jungen Kollegen das Gewehr hin. »Das haben wir schon mal«, bemerkte er zufrieden. »Jetzt muss er sich eine neue Flinte besorgen. Hoffen wir, dass ihm das nicht so schnell gelingt.«
»Hier hat ja fast jeder eine Flinte«, widersprach Matthiesen.
»Ja, sicher. Aber außerhalb der Jagdzeit dürfte es gar nicht so einfach sein, jemandem zu erklären, wofür er die dringend braucht.«
»Dann kann er sie nur von demjenigen bekommen, der ihn mit dem Schießen beauftragt hat.«
»Ja, da hast du recht«, sagte Asmus anerkennend. »Vielleicht hilft uns das weiter.« Er ließ den Motor an. Es war dem Fahrzeug nichts passiert. Zum Glück.
Auf der Treppe zur Wache stand Sinkwitz und rauchte. Als er seine beiden Untergebenen sah, die in den Innenhof hereinfuhren, furchte er die Stirn und drückte energisch die Zigarette am Handlauf aus.
»Ich muss den Hauptwachtmeister heute Nachmittag über alles informieren«, sagte Asmus verärgert und nahm Matthiesen die Flinte aus der Hand. »Hoffentlich lässt er sich überzeugen, dass ein schwerwiegendes Verbrechen begangen wurde.«
Matthiesen nickte zweifelnd.
»Du machst dich währenddessen am besten auf die Suche nach Hank Christensen, Lorns.«
»Soll ich nicht zu deiner Unterstützung hierbleiben?«
»Nein, nein. Diesen Strauß muss ich allein ausfechten.« Asmus klopfte freundschaftlich Matthiesens Arm. »Mach dir keine Sorgen. Das kriege ich hin.«
»Es ist eine Schande, dass ein erfahrener Kriminalinspektor hier als Schupo Dienst tun und sich vor so jemandem wie Sinkwitz rechtfertigen muss!«, schnaubte Matthiesen.
»Die Dinge sind, wie sie sind«, sagte Asmus gleichmütig. »Vielleicht geht es ja mal wieder aufwärts mit uns allen. Viel Glück bei der Suche nach unserem Hank.«
Sinkwitz wartete auf der Treppe auf Asmus. Seine braunen Augen über der großen Nase richteten sich kritisch auf die Flinte und kehrten dann zu Asmus zurück. »Sie kommen gleich mit in mein Büro, Wachtmeister!«
»Selbstverständlich.« Asmus nahm den unbequemen Tschako ab und verwahrte ihn zusammen mit dem Degen in seinem Spind, dann folgte er seinem Vorgesetzten in dessen Raum. Die Flinte nahm er mit und stellte sie an der Tür ab.
»Waren Sie in der Blauen Maus? Ich hatte Ihnen untersagt, sich in diese Vogelkojengeschichte hineinzuhängen«,schnauzte Sinkwitz, kaum dass Asmus die Tür geschlossen hatte.
»Ich war in der Blauen Maus. Im Übrigen muss ich Ihnen widersprechen, Herr Hauptwachtmeister. Sie hatten mir verboten, Treibstoff zu verschwenden. Das tue ich weisungsgemäß nicht, denn ich bezahle ihn selbst.«
»Von Ihrem Gehalt als unterster Dienstgrad?«
»Das geht Sie nichts an, Herr Sinkwitz.«
»Ach, da kommt bei Ihnen wohl wieder das reiche Bürgertum zum Vorschein!«, höhnte Sinkwitz.
»Ich glaube nicht, dass es mich an der Aufklärung von Verbrechen hindert. Im Gegenteil.«
»Wollen Sie damit andeuten, dass ich nichts aufkläre, weil ich dem reichen Bürgertum nicht angehöre?«, fauchte Sinkwitz.
»Ich will nichts andeuten. Ich erkläre klipp und klar, dass wir es mit einem Verbrechen auf Sylt zu tun haben, dessen Ausmaße sich als größer erweisen, als
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