Mord in der Vogelkoje
Abrechnungen haben mich nie interessiert«, erklärte Hendriksen ohne Bedauern. »Damit hatte ich in meiner Zeit als Kapitän hinreichend zu tun, und ich wollte mich gewiss nicht aufs Neue mit Ein- und Ausgaben beschäftigen. Ich fand einfach das Gesellschaftsmodell interessant, weil es den Teilhaberschaften an einem Schiff so ähnlich ist.«
»Ja, richtig!«, flocht Asmus ein.
Hendriksen wandte sich direkt an ihn. »Nicht wahr? Es weckt irgendwie verwandtschaftliche Gefühle bei uns Seeleuten.«
»Genau! Und wenn ich bedenke, wie viele uralte, leckende Frachter auf Weltreise geschickt wurden, um mit Mann und Maus unterzugehen, und wie anschließend von den Partenreedern hohe Versicherungssummen kassiert wurden, habe ich das Gefühl, dass sich diese Gesellschaftermodelle immer in irgendeiner Weise rentiert haben.«
»Bei uns war es nicht so!«, stieß Hendriksen verstimmt aus.
»In unserer Reederei auch nicht, soweit ich das Geschäft durchschaute«, versicherte Asmus in sanftmütigem Ton. »Aber Sie wissen, was ich meine.«
»Ja, natürlich«, versetzte Hendriksen widerstrebend. »Es gab etliche Schurken unter den Reedern.«
»Um Ihnen unser Problem konkret zu schildern«, fuhr Asmus fort, »wir haben zwar die schriftlichen Unterlagen der Koje vom Geschäftsführer Petersen erhalten, uns aber wegen der Dringlichkeit der Außenereignisse nicht lange damit beschäftigen können. Jetzt war Zeit dafür, und wir entdeckten, dass die Liste mit den Fangzahlen fehlt, von der wir zu dritt glauben, sie gesehen zu haben.«
»Interessant. Haben Sie in Ihrer Mannschaft etwa einen Saboteur?«
»Davon gehe ich nicht aus. Aber für jemanden, der sich mit unserem normalen Tagesablauf vertraut gemacht hat, wäre es nicht schwierig, aus der manchmal vollkommen unbesetzten und offenen Wache Unterlagen zu entwenden.«
»Da haben Sie aber viel Vertrauen in Menschen.«
»Richtig. Aber wer würde der Polizei schon vertrauen, wenn wir allen Leuten mit Misstrauen begegneten?«
»Da haben Sie natürlich recht. Sie möchten also von mir Zahlen haben.«
»Richtig. Nickels Petersen ist zum Festland gereist, für wie lange, wissen wir nicht, aber die Fangzahlen der Koje brauchen wir sofort. Und ich vermute in Ihnen den zuverlässigsten und einzigen unvoreingenommenen Teilhaber an der Koje.«
»Das kann ich Ihnen bestätigen. Die anderen Hauptinteressenten waren entweder Nachbarn oder Freunde von Petersen. Die Nebeninteressenten kenne ich gar nicht, aber die stellten ja jeweils den Schweif ihres Hauptinteressenten dar. Ich hole mal meine Unterlagen.« Der Kapitän verließ die Küche, schob nebenan hörbar eine Schieblade auf und raschelte mit Papier. Dann kam er mit einem Packen beschriebener Bögen zurück, die er in der Tischmitte deponierte.»Alle Fangzahlen der letzten Jahre«, erklärte er aufgeräumt.
Matthiesen warf einen Blick darauf und blätterte kurz durch. »Nis, wir haben tatsächlich nur die Zahlen der letzten Saison bekommen«, meldete er. »Die der früheren Jahre nicht. Wenn unsere Liste von Petersen noch auftauchen sollte, können wir trotzdem gar keinen Vergleich anstellen.«
»Das wiederum ist sehr aufschlussreich«, stellte Asmus fest. »Vielleicht habe ich mich Petersen gegenüber aber auch nicht klar ausgedrückt, was ich haben will. Dann lassen Sie uns die Listen mal durchgehen, Käpten.«
»Ja.« Hendriksen zog den Packen an sich. »Dies sind die Zahlen ab 1914. Es sind die Zahl der Fangtage, die Fänge in der Saison insgesamt und der durchschnittliche Fang pro Tag aufgelistet. Was wollen Sie haben?«
»Den Gesamtfang pro Jahr«, entschied Asmus.
Hendriksen überflog die Angaben. »Also, hier schwanken die Gesamtfänge von 1914 bis 1919 zwischen um die dreitausend und elftausend. 1920 waren es 1047, 1921 nur noch 783 und 1922 dürftige 99. Deshalb wurde die Koje in dem Jahr geschlossen.«
Asmus fixierte den Kapitän. »Dückes Mutter behauptete uns gegenüber, dass die Fangzahlen nicht abgenommen hätten. Das kann sie nur von Dücke erfahren haben. Zwischen elftausend und neunundneunzig ist natürlich ein gewaltiger Unterschied.«
»Der Verkauf von diesen wenigen Enten im Jahr konnte die Unkosten der Koje nicht tragen«, bemerkte Hendriksen säuerlich. »Selbstverständlich haben wir der Schließung zugestimmt. Bis 1919 waren wir sehr zufrieden, auch mit Dücke. Der Mann war tüchtig.«
»Ich denke, Dücke hätte seine Mutter nicht angelogen. Der dürfte stinkwütend über den vermeintlichen Irrtum
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