Mord in der Vogelkoje
gewesen, dass der Dichter sie auf dem Rückweg nach Westerland entdecken und anhalten würde. »Wann arbeitet der eigentlich?«, fragte Asmus aus dem Mundwinkel nach hinten. »Wann immer ich hier bin, ist er auf der Straße.«
»Er dichtet im Gehen«, raunte Matthiesen in Asmus’ Ohr.
»Ja, Herr Tiglat-Pileser Müller, kann ich Ihnen helfen?« Asmus stoppte neben dem Künstler.
»Nein, aber ich Ihnen. Seit heute wird wieder geschossen«, trompetete Müller heraus, als sei es sein Verdienst. »Mitten am Vormittag.«
»Tatsächlich«, sagte Asmus beeindruckt. »Sie sind sehr aufmerksam, Herr Müller. Wir werden uns wieder auf die Lauer legen müssen.«
»Ich glaube, ich habe ihn gesehen, Herr Wachtmeister! Ich war am Ufer und sammelte wundervoll aussehende Steine. Wissen Sie, manche sind kohlrabenschwarz, andere rosa. Man findet sie nicht überall, meistens gibt es nur Sand …«
»Ja«, warf Asmus nachdrücklich ein.
Müller zuckte zusammen. »Also, er war am Ufer oberhalb von mir unterwegs. Zwischen den Heckenrosen. Als er mich sah, duckte er sich und verschwand schnell aus meinem Gesichtsfeld. Aber die Flinte unter seinem Arm habe ich gesehen.«
»In welche Richtung ging er?«
Der Künstler winkte ein wenig unbestimmt nach Norden.
»Hatten Sie den Eindruck, dass er aus dem Dorf gekommen ist?«
»Also, ich spazierte unten am Strand entlang und befand mich bald unterhalb des Zauns dieses neuen Gebäudes. Zufällig sah ich hoch, und da tauchte der Kerl gerade auf, wo dessen Zaun endet. Anscheinend hatte er mich nicht bemerkt. Kurze Zeit später hörte ich den Schuss.«
»Und dann?«
»Ich glaube, er hat sich im Schilf davongemacht, Richtung Entenkoje.«
»Sie sind ein guter Beobachter, Herr Müller«, lobte Asmus.
»Das sind alle Künstler. Präzision tut not, gleich, ob wir dichten oder malen«, sagte Müller geschmeichelt und warf seine Mähne, wie es seine Gewohnheit war, schwungvoll nach hinten. »Wir sehen, wann ein Putt direkt ins Loch geht.«
Hatte wohl irgendetwas mit Golf zu tun, erinnerte sich Asmus. Offenbar war es das Gleiche wie das rechtzeitige Fieren des Großsegels, um sanft an der Pier anlegen zu können. »Besten Dank, Herr Müller«, sagte er. »Sie helfen uns mehr, als Sie wissen!«
»Dachte ich es mir doch.« Müller straffte den Rücken und strahlte Genugtuung aus, während Asmus startete.
»Es wundert mich«, sagte Asmus zu Matthiesen, als sie wieder in der Wache waren, »dass die Schüsse am gleichen Tag wieder eingesetzt haben, an dem Petersen zurückgekommen ist. Es beunruhigt mich sogar. Gibt es da etwa einen Zusammenhang?«
Matthiesen schnallte seinen Degen ab. »Du glaubst, Petersen habe dem Schützen die neue Flinte verschafft?«
»Es lässt sich nicht von der Hand weisen. Der zeitliche Zusammenhang ist sehr auffällig.«
»Das stimmt. Vom Nachbarn hätte er es sich am nächsten Tag schon besorgen können.«
»Heute habe ich keine Lust mehr, mich mit dieser Sache zu befassen«, seufzte Asmus, »aber morgen telegrafiere ich nach Konstanz wegen Degenhardt.«
Am nächsten Vormittag wartete Asmus geradezu euphorisch auf Matthiesens Rückkehr von seinem Streifengang. Die Antwort aus Konstanz war umgehend gekommen.
Auch Matthiesen traf ein und fläzte sich in voller Uniform auf einen Stuhl. »Puh, bin das Streifengehen gar nicht mehr gewohnt! Macht auch keinen Spaß mehr.«
»Rat mal, was die Konstanzer Polizei mir telegrafiert! Nein, lass nur. Also: Degenhardt ist ein Professor, der ursprünglich an der Universität von München forschte und lehrte, erkam aber wegen politischer Umtriebe in Festungshaft nach Landsberg am Lech. Da sitzt auch dieser Hitler ein. In der Haft befasste Degenhardt sich mit seinen Studien zu Enten und begann, ein Buch zum Thema zu schreiben.«
»Und wie geriet er nach Konstanz?«
»Die Universität München hatte ihn entlassen. Nach Konstanz ging er, um sich am Bodensee einer bestimmten Entenart zu widmen.«
»Der Reiherente«, schloss Matthiesen messerscharf.
»Genau. Aber es waren Studien, die er als Privatgelehrter betrieb, obwohl er nicht reich gewesen sein soll. Allerdings galt er als etwas verschwenderisch, obwohl er kein Einkommen mehr hatte, schreiben die Kollegen in Konstanz. Politisch war er in Konstanz völlig unauffällig. Von Umtrieben dieser Art war er offenbar geheilt.«
»Das lässt aber darauf schließen, dass er über kurz oder lang ein Einkommen brauchte …«
Asmus nickte beifällig. »Eben. Weißt du, ich fragte
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