Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)
vorbereitet hatte und er sich damit in Verlegenheit gebracht sah.
Pitt versuchte zu überlegen, was Narraway in diesem Augenblick getan hätte. Zwar dachte er nicht daran, den Premierminister von Gleich zu Gleich zu behandeln, wie Narraway das möglicherweise getan hätte, wohl aber war er entschlossen zu zeigen, dass er, und nicht Lord Salisbury, Fachmann auf dem Gebiet von Terror und Gewalttätigkeit war.
»Nein, das würden lediglich Menschen tun, die nicht daran glauben, Sir«, gab er gelassen zurück. »Man muss einräumen, dass es auf den ersten Blick keinen Anlass zu geben scheint, Herzog Alois etwas anzutun, sodass ein Attentat so recht keinen Sinn ergibt.«
Der Premierminister nickte.
Pitt fuhr fort: »Ich muss noch ermitteln, ob unter Umständen jemand anders das eigentliche Ziel des Anschlags sein soll oder Herzog Alois möglicherweise weit wichtiger ist, als er zu sein scheint. Soweit ich bisher in Erfahrung bringen konnte, handelt es sich bei ihm um einen unauffälligen jungen Mann, um einen Schöngeist, der sich mit Philosophie und den Naturwissenschaften beschäftigt. Wie es heißt, ist er Junggeselle, allgemein beliebt, verfügt über ein beträchtliches Vermögen und gehört, soweit sich feststellen lässt, keiner politischen Richtung an. Mit anderen Worten: Er ist ausgesprochen harmlos.«
Mit finsterer Miene erkundigte sich Lord Salisbury: »Mit wessen Frau oder Tochter schläft er?«
Pitt verzog das Gesicht. »Darüber ist mir nichts bekannt, Sir. Davon abgesehen scheint es mir eine ziemlich extreme Art und Weise zu sein, derlei mit einer Mordverschwörung regeln zu wollen, noch dazu im Ausland.«
»Da haben Sie recht«, stimmte ihm der Premierminister zu. »Möglicherweise vertritt er insgeheim doch brisantere politische Überzeugungen. Das ist nicht auszuschließen, schließlich hat sich das bei Erzherzog Rudolf eindeutig so verhalten. Meinen Informationen nach, die ich natürlich erst nachträglich bekommen habe, konnte die Katastrophe in seinem Fall gar nicht ausbleiben.«
Pitt äußerte sich nicht dazu. Dabei handelte es sich um eine diplomatische Angelegenheit, die den Staatsschutz nichts anging.
»Es ist also denkbar, dass dieser Herzog Alois sehr viel gerissener ist, als er vorgibt«, fuhr Lord Salisbury fort, »oder natürlich kann die ganze Sache auch einen gänzlich anderen Zweck verfolgen. Beispielsweise könnte man damit England in Verlegenheit bringen wollen, was uns bei künftigen Verhandlungen ernsthafte Nachteile eintragen würde. Sie müssen den Anschlag um jeden Preis verhindern. Sehen Sie zu, dass Sie alles an Unterstützung bekommen, was Sie brauchen. Aber wieso kommen Sie damit eigentlich zu mir?« Er runzelte die Stirn. »Warum haben Sie das nicht im Außenministerium vorgetragen?«
»Lord Tregarron sieht die Bedrohung nicht als gegeben an, Sir«, gab Pitt zurück, »ganz im Unterschied zu Mr. Evan Blantyre.«
Lord Salisbury saß einen Augenblick lang reglos da. »Aha«, sagte er schließlich. »Nun, wir werden uns Ihrem Urteil anschließen, Commander. Unternehmen Sie alles, was Sie für nötig halten, damit sichergestellt ist, dass der Besuch des Herzogs hier im Lande sicher und zufriedenstellend verläuft und er England auch unbehelligt wieder verlassen kann. Falls er unbedingt umgebracht werden soll, dann von mir aus in Frankreich oder Österreich, aber nicht hier. Und um Gottes willen schon gar nicht von der Hand eines Engländers.« Er biss sich auf die Lippe und sah Pitt an. Mit einer Stimme, die auf einmal belegt klang, fuhr er fort: »Glauben Sie, dass dieses Eisenbahnunglück ein Ablenkungsmanöver sein könnte und der Wahnsinnige, wer auch immer dahintersteckt, es in Wahrheit auf die Königin abgesehen hat?«
Dieser Gedanke war nicht einmal Pitt gekommen. »Nein, das glaube ich nicht«, sagte er, alles andere als überzeugt, aber in der Hoffnung, damit recht zu haben. »Allerdings könnte es sich für Ihre Majestät empfehlen, den jungen Mann nicht im Kensington-Palast aufzusuchen. Im Buckingham-Palast gibt es reichlich Männer, die über ihre Sicherheit wachen können.« Er gestattete sich ein leises Lächeln. »Ich kenne Ihre Majestät hinreichend, um zu wissen, dass sie ihre Sicherheit betreffende Ratschläge ernst zu nehmen pflegt. Mit Empfehlungen, wohin sie sich begeben oder nicht begeben soll, verhält sich das hingegen ganz und gar anders.«
Lord Salisbury knurrte. »Ich weiß. Ich habe nicht vergessen, was Sie in Osborne House geleistet haben.
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