Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)
Das war der Hauptgrund dafür, warum Sie Ihr gegenwärtiges Amt bekleiden und ich mir anhöre, was Sie zu sagen haben.«
Pitt spürte, wie er rot wurde. Er hatte das Thema nicht angesprochen, um den Premierminister an seine eigenen Erfolge zu erinnern, und kam sich jetzt schrecklich taktlos vor, dass er es getan hatte.
Sein Gegenüber lächelte. »Ihre Lage ist in keiner Weise beneidenswert, Pitt. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass Sie der beste Mann für diese Aufgabe sind. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie dafür sorgen könnten, dass ich mich damit keiner Fehleinschätzung schuldig mache.«
Pitt stand auf. Seine Beine fühlten sich ein wenig steif an. »Gewiss, Sir. Vielen Dank.«
Bei der Rückkehr in seine Dienststelle in Lisson Grove fand er eine Mitteilung vor, in der ihn Blantyre bat, so rasch wie möglich mit ihm Verbindung aufzunehmen. Er rief an, und sie verabredeten sich zu einem verspäteten Mittagessen in dessen Klub.
Abgesehen von Gelegenheiten, bei denen er früher als Polizeibeamter die Erlaubnis bekommen hatte, mit einem der Mitglieder zu sprechen, war Pitt noch nie in einem solchen Herrenklub gewesen. Jetzt führte ihn ein livrierter Tafelmeister respektvoll durch die eichengetäfelten Gänge, deren Wände Pferdebilder und Gemälde mit Jagdszenen fast vollständig bedeckten, als gehöre er ganz selbstverständlich dorthin. Dicke Teppiche dämpften ihre Schritte. Blantyre, der ihn bereits erwartete, suchte gemeinsam mit ihm den Speisesaal auf, und sie setzten sich zu Tisch. An den Wänden hingen lebensgroße Porträts der Herzöge von Wellington und Marlborough sowie ein recht ausgefallenes Porträt König Heinrichs V. bei der Schlacht von Agincourt.
»Das sieht hier alles ziemlich militärisch aus«, sagte Blantyre mit entschuldigendem Lächeln, der Pitts Blicken gefolgt war. »Aber das Essen ist erstklassig, und man lässt uns allein, solange wir wollen. Genau das brauche ich im Augenblick. Ich empfehle Ihnen das Roastbeef – es ist wirklich sehr gut – und dazu einen anständigen Burgunder. Etwas schwer, aber es dürfte sich lohnen.«
»Mir sehr recht, vielen Dank«, stimmte Pitt zu. Die Frage, warum Blantyre ihn zu der Besprechung gebeten haben mochte, beschäftigte ihn viel zu intensiv, als dass er sich Gedanken über das Essen gemacht hätte.
Der Tafelmeister näherte sich, und Blantyre gab seine Bestellung auf. Als sie wieder allein waren, begann er: »Haben Sie inzwischen Näheres über diesen jungen Mann, Herzog Alois, in Erfahrung gebracht?« Bei diesen Worten sah er Pitt mit gehobenen Brauen an.
»Nichts, was es zu rechtfertigen scheint, ihn umzubringen«, gab Pitt zurück. »Sollte der Anschlag tatsächlich ihm gelten, bleibt die Annahme, dass es dafür einen gänzlich anders gearteten Grund gibt.«
»Ganz meine Meinung«, pflichtete ihm Blantyre bei. »Ich habe mich mit guten Bekannten in Österreich und Deutschland in Verbindung gesetzt. Dabei habe ich lediglich erfahren, dass es sich um einen harmlosen jungen Adligen handelt, in dessen Leben das größte Abenteuer darin besteht, sich in die Wissenschaften zu vertiefen. Es gibt nicht den geringsten Hinweis darauf, dass er das aus anderen Gründen als privatem Interesse tut.«
»Sind Sie sicher?«, wollte Pitt wissen.
Blantyre wies auf die Teller, die man gerade gebracht hatte. »Lassen Sie es sich schmecken. Ja, ganz sicher. Von meinen Gewährsleuten habe ich erfahren, dass er einen ihm angebotenen äußerst angenehmen Posten im diplomatischen Dienst ausgeschlagen hat. Zumindest war er so ehrlich zu sagen, dass er nicht gesonnen sei, sich durch derlei Verpflichtungen einschränken zu lassen.«
Allmählich begann Pitt Herzog Alois als nicht unbedingt angenehmen Zeitgenossen zu empfinden, ließ sich das aber nicht anmerken.
»Übrigens«, fuhr Blantyre fort, während er anfing zu essen, »scheint er sehr gern Musik von Gustav Mahler zu hören.« In seiner Stimme wie in seinen dunklen Augen lag eine leise Trauer. »Er ist ein typischer Österreicher mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Aber meiner Überzeugung nach ist es besser, etwas Unbedeutendes gut zu tun, als untätig zu bleiben. Allerdings bin ich Gott sei Dank auch kein Herzog aus der kaiserlichen Familie, und so erwartet von mir niemand etwas Großartiges.«
Pitt sah ihn mit neuer Wertschätzung an. Blantyre hatte gleichsam beiläufig Dinge angesprochen, auf die er selbst noch gar nicht verfallen war.
»Einen so harmlosen und unschuldigen
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