Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)
Menschen umzubringen, ist besonders verwerflich«, sagte Blantyre. In seiner Stimme lag keinerlei Groll, sondern lediglich ein gewisses Bedauern. »Ist es gut oder schlecht, jemand zu sein, den zu töten sich sozusagen nicht lohnt?«, fügte er mit trockenem Humor hinzu und sah Pitt dabei an.
Dieser gab zögernd zur Antwort: »Mitunter ist es wohl recht angenehm und zweifellos auch ziemlich sicher, aber ich denke, dass ich es letzten Endes schade finden würde. Es kommt mir vor wie eine vertane Chance.«
Blantyre seufzte. »Es ist wie Wein, den man nicht getrunken hat. Vermutlich schläft man danach besser. Allerdings möchte ich lieber nicht mein ganzes Leben auf diese Weise zubringen, ganz gleich, wie intellektuell anspruchsvoll wäre, was ich dann täte.«
Schweigend sah Pitt zu, wie der Tafelmeister die Kristallgläser erneut füllte und sich das Licht in dem roten Burgunder brach.
»Aber natürlich habe ich Sie nicht hergebeten, um mit Ihnen zu plaudern«, sagte Blantyre mit ernstem Gesicht. »Es sieht ganz so aus, als hätten sich die Dinge in eine neue Richtung entwickelt. In Dover ist ein gewisser Erich Staum gesehen worden, der dort angeblich als Straßenkehrer tätig ist.« Er unterbrach sich und sah Pitt aufmerksam an. »Bestimmte Stellen in Wien kennen ihn als ungewöhnlich geschickten und einfallsreichen Attentäter mit politischen Motiven.«
Um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen, nahm auch Pitt einen Schluck Wein. Er schmeckte ihm und war erkennbar von einer Qualität, wie er sie bisher nicht kennengelernt hatte.
»Ich nehme an, dass Sie Ihrer Sache sicher sind?«, sagte er in fragendem Ton, wobei er den Blick lächelnd auf sein Glas gerichtet hielt.
»Es gibt noch gewisse Zweifel«, räumte Blantyre ein, »aber sie sind nicht besonders erheblich. Niemand, der sein Gesicht gesehen hat, vergisst es leicht, vor allem nicht die Augen. Sogar in seinem abgerissenen Aufzug mit schlecht sitzender Kleidung und einem Straßenbesen in der Hand sieht der Mann in Dover wie Staum aus, vor allem, wenn man sich die gebückte Haltung wegdenkt und ihn sich aufrecht vorstellt. Bei früheren Gelegenheiten ist Staum als Gepäckträger an Bahnhöfen, als Droschkenkutscher und als Postbote aufgetreten.«
»Ich verstehe«, sagte Pitt. Für jemanden, der Sprengstoff transportieren wollte, gab es keine bessere Verkleidung. Niemand achtete auf einen Straßenkehrer, der einen Karren mit seinen Gerätschaften durch die Straßen schob und Unrat aufsammelte, von dem Karren selbst ganz zu schweigen. »Aber wir haben nach wie vor keine Antwort auf die Frage, warum der Anschlag Herzog Alois gelten soll.« Pitt sah Blantyre erneut an.
»Staum führt Aufträge gegen Bezahlung aus«, gab dieser zur Antwort und schüttelte den Kopf kaum wahrnehmbar. »Anarchisten wählen ihre Opfer nicht zwangsläufig aus nachvollziehbaren Gründen aus. Aber das wissen Sie besser als ich.« Er holte tief Luft, als wolle er eine schwierige Entscheidung treffen, und stieß sie dann mit einem Seufzer wieder aus. »Vielleicht ist der Herzog nur Mittel zum Zweck, und es geht in erster Linie darum, die Regierung Ihrer Majestät Königin Viktoria in Schwierigkeiten zu bringen. Das würde man mit einem solchen Attentat zweifellos erreichen.«
Seine Hände umklammerten Messer und Gabel. »Die Dinge werden von Jahr zu Jahr schlimmer und gefährlicher. Ein Sozialismus, der vor Gewalttaten nicht zurückschreckt, erhebt sein Haupt, und Ländergrenzen verändern sich, als würden sie von der Flut hin und her geschoben. Überall scheint es Unruhe zu geben. Der Wildwuchs von Ideen und politischen Lehrmeinungen vervielfältigt sich mit rasender Geschwindigkeit. Ich kann Ihnen nicht verhehlen, dass mir die Zukunft Sorgen macht.« Seine Stimme klang nicht melodramatisch, wohl aber lagen böse Ahnungen und ungekünstelte Angst darin. Seine Züge umdüsterten sich, was sein Gesicht beinahe asketisch erscheinen ließ.
Da Pitt ihn achtete, war er bereit, diese Worte ernst zu nehmen, und er wurde sich der Last seiner Verantwortung noch mehr bewusst.
»Wir werden Herzog Alois vor jedem schützen, der es auf ihn abgesehen hat, aus welchem Grund auch immer«, versprach er. Seine Stimme klang entschlossen.
Seufzend sagte Blantyre: »Ich weiß, ich weiß.« Er griff nach der Flasche und verteilte den Rest Burgunder gleichmäßig auf Pitts und sein Glas, unterließ es aber, ihm zuzuprosten.
Diesmal wurde Pitt ohne Schwierigkeiten vorgelassen, und das beim Außenminister
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