Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)
dann nehme ich Ihr Pferd und reite zum nächsten Bahnhof, von wo ich nach London fahren kann. Sie können von mir aus gehen, wohin Sie wollen. Ich werde sagen, dass ich den Mörder unseres unglücklichen österreichischen Besuchers nicht gefunden habe, und als Gegenleistung für diesen Gefallen werden Sie mir künftig immer dann, wenn ich das wünsche, gewisse Informationen zukommen lassen, die ich an unsere Kontaktleute in der österreichischen Regierung weiterleiten werde.«
Tregarron sah ihn an, als könne er nicht glauben, was er da hörte. Während er Pitts Gesicht aufmerksam musterte, ging ihm mit lähmendem Entsetzen auf, dass dieser alles Wort für Wort so gemeint hatte.
»Sollte ich aber erfahren, dass Sie unzutreffende Angaben gemacht haben – und ich würde es erfahren –, werden Sie als der Landesverräter bloßgestellt, der Sie sind«, fuhr Pitt fort. »Vermutlich würde es Sie noch mehr stören, dass dabei auch der Verrat Ihres Herrn Vaters mit an die Öffentlichkeit gelangen würde – wie auch der Grund dafür. Ich meine damit seine bedauerliche Affäre mit Serafina Montserrat.«
»Sie verfluchter Lumpenhund!«, fuhr ihn Tregarron an.
»Sie …«
»Sie meinen, weil ich lieber einen Verräter benutze, als ihn kaltblütig abzuknallen und damit einen Skandal heraufzubeschwören, der für mich unabsehbare Folgen hätte?«, fragte Pitt mit vor Hohn triefender Stimme. »Das ist eine Frage des Standpunkts. Ich sehe das so, dass Sie lieber Ihr Land verraten haben, als zuzulassen, dass der Verrat Ihres Vaters bekannt wurde oder Ihre Mutter, die er ebenfalls hintergangen hat, in eine peinliche Situation gebracht wurde. Sie hat davon womöglich ohnehin gewusst, aber das ist jetzt unerheblich. Sie sollten sich besser rasch entscheiden. Ich gedenke nicht zu warten.«
»Und was soll mich dazu veranlassen, mich an eine solche Vereinbarung zu halten?«, fragte Tregarron.
»Die Gewissheit, bloßgestellt zu werden«, gab Pitt knapp zurück. »Her mit dem Gewehr.«
Langsam, als schmerze ihn jede Bewegung, gehorchte Tregarron.
Pitt nahm das Gewehr, während er die Pistole nach wie vor auf Tregarron gerichtet hielt. Anschließend ging er vorsichtig Schritt für Schritt rückwärts, um das Pferd loszubinden, das er am Zaum führte, bis Tregarron ihn nicht mehr sehen konnte. Dann saß er auf, warf sich das Gewehr über die Schulter und trabte auf der Straße davon.
Zu Hause in der Keppel Street wartete Charlotte äußerst unruhig auf Pitts Rückkehr. Immer wieder sagte sie sich, es werde keinen Anschlag in Dover geben und die Bahnfahrt nach London werde ohne Zwischenfall vor sich gehen. Sie beschäftigte sich mit irgendwelchen Hausarbeiten, hörte unvermittelt damit auf, lief unruhig auf und ab, vergaß, was sie gerade getan hatte, und nahm etwas anderes in Angriff.
»Ham Se was verlor’n?«, fragte Minnie Maude sie besorgt.
Charlotte fuhr herum. »Nein, nein, vielen Dank. Ich überlege nur, ob alles in Ordnung ist. Das ist ziemlich töricht von mir, weil ich ohnehin nichts daran ändern könnte, wenn es anders wäre.«
Das Klingeln des Telefons ließ sie zusammenzucken. Sie ließ nicht zu, dass Minnie Maude abnahm, sondern eilte schwer atmend in die Diele und meldete sich. »Ja? Ich meine, guten Tag.«
»Charlotte …«
Sie war zutiefst erleichtert, Pitts Stimme zu hören. »Wo bist du? Geht es dir gut? Wann kommst du nach Hause?«, fragte sie rasch.
»Ich bin noch immer in Kent. Mir geht es gut, aber ich werde erst sehr spät zurückkommen«, gab er zurück. »Bitte geh mit Tante Vespasia oder mit Jack und Emily zu dem Empfang. Ich komme nach, sobald ich kann.«
»Wieso bist du noch in Kent?«, wollte sie wissen. »Geht es dir wirklich gut? Und was ist mit dem Herzog? Und mit Stoker?«
»Uns allen geht es bestens. Der Herzog wird dir gefallen. Ich erklär dir später alles. Geh bitte einfach mit Tante Vespasia oder Emily hin. Mir ist nicht das Geringste zugestoßen, wirklich nicht.«
»Oh … dem Himmel sei Dank. Ja, ich gehe mit Emily und Jack.« Sie wusste bereits, was sie tun würde. Es war genau die Gelegenheit, die sie brauchte. »Ich seh dich dann dort.« Lächelnd hängte sie den Hörer an den Haken, nahm ihn aber sofort wieder ab und ließ sich mit Emily verbinden. Sie brauchte nicht lange zu warten, bis ihre Schwester an den Apparat kam.
»Emily? Ich bin’s. Thomas ist aufgehalten worden und kann mich nicht zum Empfang des Herzogs im Kensington-Palast begleiten. Dürfte ich mit euch
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