Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)
Daher trat er leise zurück in den Baumschatten. Das Pferd senkte erneut den Kopf, um zu grasen.
Er brauchte nicht lange zu warten. Nach nicht einmal vier Minuten hörte er das leise Knacken eines Zweiges. Ein in Braun und Grün gekleideter Mann trat aus dem Schatten und ging auf das Pferd zu, das erneut den Kopf hob und schnaubend einen Schritt auf ihn zutrat.
Er hatte in der Tat ein Gewehr mit einem Zielfernrohr, doch hätte Pitt auch ohne die Waffe gewusst, dass er den Mörder vor sich hatte. Es war Lord Tregarron. Pitt trat mit der Pistole im Anschlag auf die Lichtung.
»Wenn Sie auch nur einen weiteren Schritt in Richtung Pferd tun, schieße ich«, sagte er laut und deutlich. »Nicht, um Sie zu töten, aber so, dass Sie es spüren.«
Tregarron erstarrte. Der Ausdruck auf seinem Gesicht war eher Überraschung als Angst.
Pitt ging näher auf ihn zu. Tregarron hatte einen Mann erschossen. Er würde zwangsläufig erfahren, dass er den Herzog nicht getroffen hatte. Konnte man ihn trotzdem wegen der Tat unter Anklage stellen? Auf jeden Fall würde es eine Verhandlung geben müssen, und dabei würde die geheimdienstliche Tätigkeit des Herzogs offenbar, die er mit seinem professoral wirkenden Verhalten bisher so erfolgreich getarnt hatte.
Ob ihm das Abkommen, das er Pitt vorgeschlagen hatte, jetzt noch von Nutzen sein würde? Die Sache wäre nicht ungefährlich, aber das wäre sie ohnehin nie gewesen.
Erneut tat Pitt einige Schritte auf Tregarron zu, wobei er sich zwischen das Pferd und ihn stellte, um ihn im Schussfeld zu behalten. Die Pistole zielte auf seine Brust.
Tregarron verzog das Gesicht zu einem grausamen Lächeln. Es war Pitt klar, dass er Angst hatte.
»Sie haben versagt, Pitt«, sagte er mit boshafter Stimme. »Sie haben zugelassen, dass Herzog Alois umgebracht wurde. Damit ist wohl das Ende Ihrer Laufbahn besiegelt, zumal, wenn die Österreicher der Londoner Regierung mitteilen, wer der Mann wirklich war. Sie haben das natürlich nicht gewusst, nicht wahr?«
»Ach, Sie hatten es auf Herzog Alois abgesehen?«, sagte Pitt mit gehobenen Brauen. Er erkannte flüchtig Zweifel in Tregarrons Blick. »Ich würde Sie ja gern glauben lassen, dass Sie Erfolg hatten, aber Sie werden ohnehin bald erfahren, dass das nicht der Fall ist.«
Tregarron zwinkerte irritiert. Ganz offensichtlich war er unsicher, ob Pitt ihn belog.
»Aber umgebracht haben Sie jemanden«, fuhr Pitt fort. »Der arme Bursche war einer der Männer des Herzogs. Er hat ihm ziemlich ähnlich gesehen.«
Tregarron stand steif da, das Gewehr nach wie vor in der Hand.
»Lassen Sie es fallen«, forderte Pitt ihn auf.
»Und wenn ich es nicht tue? Erschießen Sie mich dann? Wie wollen Sie das erklären? Ich habe einen Ausritt aufs Land gemacht und gedacht, ich könnte dabei ein paar Kaninchen schießen. Sie sind ein Dummkopf.«
»Guter Gedanke, Kaninchen schießen.« Pitt hob den Lauf der Pistole eine Daumenbreite höher. »Da könnte ich ja selbst ein paar erlegen.«
»Seien Sie nicht so blöd!«, fuhr ihn Tregarron an. »Von Ihnen wird erwartet, dass Sie sich im Zug befinden und den Leiter des österreichischen Staatsschutzes schützen, nicht aber, dass Sie durch die Wälder ziehen, um auf Niederwild zu schießen.«
»Da haben Sie recht«, erwiderte Pitt. »Ich werde nicht auf Niederwild geschossen haben, sondern auf den Mann, der einen der Begleiter des Herzogs getötet hat. Ich konnte sein Gesicht nicht sehen und hatte keine Ahnung, dass er zu den führenden Köpfen in unserem Außenministerium gehörte.«
Die Farbe wich aus Tregarrons Gesicht. »Sie haben keine Möglichkeit, mich vor Gericht zu bringen, selbst wenn Sie glauben, dass Sie Beweise finden könnten. Sie würden damit lediglich einen Skandal heraufbeschwören.« Seine Stimme klang hohl. »Das Ganze wird wie ein Unfall aussehen: ein tragischer Zwischenfall, für den man niemanden zur Verantwortung ziehen kann.«
»Nicht einmal wegen Unfähigkeit?«, fragte Pitt sarkastisch. »Hätte ich nicht voraussehen müssen, dass einer unserer blaublütigen Minister durch die Wälder streift, um Kaninchen zu schießen – in Kopfhöhe eines Menschen? Ihre Kaninchen haben wohl auf den Bäumen gehockt, wie?«
Das Blut stieg Tregarron in den Kopf, und seine Hand umfasste das Gewehr so fest, dass seine Knöchel weiß wurden.
»Wie die Dinge liegen, habe ich nicht die Absicht, Sie vor Gericht zu bringen«, fuhr Pitt fort. »Ich habe einen viel besseren Gedanken. Sie geben mir Ihr Gewehr,
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