Mord in h-moll
mich gequält, bis aufs Blut gequält. Was ich mit Hilda getan hatte, war Notwehr gewesen, nichts anderes. Ich hatte gehandelt, wie jeder handelt, wenn er ertrinkt, ich hatte mich an das geklammert, was sich mir als letztes bot.
Aber dieser Mann, den ich überhaupt nicht kannte... nein, es schien mir, als würde ich es niemals fertig bringen, ihn einfach zu töten. Es sei denn, er triebe mich genauso zur Verzweiflung, wie Hilda das getan hatte. Und dann war es wieder Notwehr, dann zwang er mich ja dazu, mein Leben zu retten, und sei es durch einen weiteren Mord.
Vorerst aber war ich sicher, daß es niemals dazu kommen durfte, denn mit einem zweiten Mord stieg ja auch mein Risiko, entdeckt zu werden, um hundert Prozent.
Als ich im Büro ankam, sagte man mir, ein Polizeibeamter sei dagewesen und habe nach mir gefragt. Ich sollte sofort auf das Revier achtzehn kommen.
Das Revier achtzehn lag in dem Bezirk, in dem ich wohnte. Mein Mund war trocken, und ich war unfähig, irgendeinen klaren Gedanken zu Ende zu denken, als ich die wenigen Stufen zu den Amtsstuben hinaufstieg.
Im Dienstzimmer des Reviers trat ich an die Barriere, nannte meinen Namen und sagte, ich sei hierherbestellt worden.
Der Beamte suchte in einem Stoß grüner Aktendeckel, murmelte meinen Namen und suchte weiter. Das beruhigte mich, denn ich hielt es für ausgeschlossen, daß man nach den Akten eines Mörders lange suchen mußte.
Endlich sagte der Beamte:
»Worum handelt es sich denn? Verkehrsdelikt? Der Kollege, der diese Angelegenheiten bearbeitet, ist noch nicht zurück.«
Zögernd sagte ich:
»Meine Frau... sie ist verunglückt. Ich vermute, daß es damit zusammenhängt.«
Ein zweiter Beamter, der bisher in irgendeinem Schriftstück gelesen hatte, hob den Kopf.
»Ach ja«, sagte er, »Sie sind Herr Roeder aus der Parkstraße siebzehn, zweiter Stock?«
»Ja.«
Der Beamte stand auf und stützte sich mit beiden Händen auf die Barriere. Er bemühte sich, sein gleichgültiges Gesicht teilnahmsvoll erscheinen zu lassen.
»Wir sollen Sie benachrichtigen, daß die Leiche Ihrer Frau Gemahlin — er sagte wirklich Frau Gemahlin! — freigegeben ist. Sie können Ihre Verfügungen bezüglich der Bestattung treffen.«
»Ja, danke«, sagte ich.
Empfand ich Freude über das gute Gelingen meiner Tat? Nein, aber vielleicht war ich erleichtert. Ich fragte den Beamten, was ich nun zu tun hätte.
Er zuckte mit den Schultern.
»Das steht ganz bei Ihnen. Erdbegräbnis oder Feuerbestattung. Wie Sie wollen.«
»Und was muß ich jetzt als Nächstes tun?«
»Vielleicht wenden Sie sich an ein Bestattungsinstitut?«
»Ja, das werde ich tun.«
»Die wissen dann schon Bescheid.«
Es wird einem alles abgenommen. Man braucht selbst nichts zu tun. Sollte Hilda verbrannt oder begraben werden?
Wir hatten niemals über ein derartiges Thema gesprochen, und ich zerbrach mir vergeblich den Kopf, was ihr wohl lieber gewesen wäre. Hätte ich sie vergiftet, würde ich froh gewesen sein, sie verbrennen lassen zu können. Aber sie war ja eines »natürlichen« Todes gestorben...
Ich verließ das Polizeirevier und suchte in der nächsten Telefonzelle die Anschrift eines Bestattungsinstitutes. Dann fuhr ich mit der Straßenbahn hin und füllte die Formulare aus, die man mir vorlegte.
Ein Grab muß man pflegen, man muß es mit Blumen schmücken, und man muß es von Zeit zu Zeit besuchen. Ich hatte nicht die Absicht, mir von Hilda noch über ihren Tod hinaus Vorschriften machen zu lassen. Infolgedessen wählte ich das Krematorium.
Als Termin für die Bestattung nannte man mir Dienstag, den 13. Oktober.
Die Mittagspause war gerade vorbei, als ich im Büro ankam.
»Am Dienstag wird meine Frau bestattet«, sagte ich zu Karin Uhlmann, als sie mir die Kasse wieder übergab. »Ist alles in Ordnung?« fügte ich gewohnheitsmäßig hinzu.
Sie schaute mich mit einem kurzen, rätselhaften Blick an.
»Ja«, sagte sie. »Es ist alles in Ordnung. Wollen Sie nicht doch lieber bis Dienstag Urlaub nehmen?«
»Ich glaube nicht; was zu regeln war, habe ich geregelt, nun muß ich abwarten. Bis Dienstag. Was sollte ich untätig zu Hause in meinen vier Wänden, wo mich alles an sie erinnert?«
Karin nickte und verließ meinen kleinen Kassenraum.
Ich war so ruhig wie schon lange nicht mehr. Freundlich bediente ich die Kunden, und mitten in einer Auszahlung fiel mir ein, daß es sich wohl gehörte, einen schwarzen Trauerflor zu tragen. Eine schwarze Krawatte? Ein schwarzes Band im
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