Mord in h-moll
worden war.
Und nun bedenken Sie bitte, was das für den Angeklagten bedeutet haben muß: zuerst der beklagenswerte Unfall, der ihm seine Frau nimmt, an der er mit ganzer Liebe hing... und dann wurde ihm auch noch der Glaube an diese Frau genommen.
Was konnte den Angeklagten da noch an sein Leben binden? War er etwa besonders ehrgeizig? Hatte er vor, durch eine glänzende Berufskarriere aufzufallen? Nein, nichts dergleichen. Brav und anständig tat er seine Arbeit. Alles, was er besessen hatte, war seine Frau und der Gedanke an die Reinheit ihrer Liebe zu ihm. Und dieses Bild, dieser absolute Glaube war ihm jäh zerstört worden.
Wen nimmt es nun wunder, daß er dem Mann, dem er allein diese Schmach verdankte, bittere Rache schwor? Wen nimmt es wunder, daß er Carl Weynert beobachtete, dessen frivoles Spiel ihm das Leben zerstört hatte? Wen nimmt es wunder, daß er, blind vor Haß gegen diesen Mann, ihm nach Davos nachfuhr?
Und gerade diese Fahrt nach Davos wurde Carl Weynert zum Verhängnis. Vielleicht wäre der Angeklagte hier, in seiner Heimatstadt, vor einem Mord zurückgeschreckt. Vielleicht hätte er es auch in Davos nicht gewagt, Hand an den Widersacher zu legen. Da aber trat der Zufall auf die Bühne. Die Balkontüre ohne Balkon!
Was dann geschah, dürfte jedem von uns klar sein.«
So etwa sprach er nochmals eine halbe Stunde. Ich sah es den Zeugen an, daß sie ihm glaubten, ich sah es am unbewußten Nicken des Richters, daß er ihm glaubte. Und wenn ich, mehr und mehr davon überzeugt, daß mir kein Gott mehr helfen konnte, zu meinem Anwalt schaute, tröstete mich kein ermunternder Blick. Entweder machte er sich eifrig Notizen, oder er brütete vor sich hin.
Schließlich zuckte ich zusammen, als der Staatsanwalt rief:
»Und so kann es gar keinen Zweifel mehr an der Schuld dieses Mannes geben! Sprechen auch sein bisher anständiges Betragen, seine Unbescholtenheit für ihn, so ist sein Verbrechen desto verdammungswürdiger, weil er sich nicht scheut, nun auch noch einen Toten durch üble Anschuldigungen zu belasten. Es ist erstaunlich, mit welcher Raffinesse er sich dieses Märchen von der angeblichen Erpressung ausgedacht hat. Lassen Sie sich aber, meine Herren Geschworenen, von diesem naiven Versuch nicht beeinflussen. Der Angeklagte hat, und das ist erwiesen, den bedauernswerten Carl Weynert nach einem wohl vorbereiteten und teuflisch ausgeheckten Plan in sein Zimmer gelockt und ihn unter primitiver Vortäuschung eines Unfalls aus der Balkontüre gestoßen. Er hat ihn eiskalt ermordet, um seinen niedrigen Rachegefühlen freien Lauf zu geben. Er ist des Mordes schuldig. Ich beantrage daher die Höchststrafe, also lebenslänglich Zuchthaus.« Ein brausendes Gemurmel ging durch den Saal. Oder war es das Blut in meinen Ohren. Wie durch Watte hörte ich ihn noch sagen:
»Aus der Tatsache, daß der Angeklagte durch den plötzlichen Tod seiner Frau aus der Bahn geworfen worden war, und vielleicht auch dadurch, daß er erst nach dem Tode seiner Frau von deren Verhältnis zu dem Ermordeten erfuhr, könnte das Hohe Gericht zu der Auffassung gelangen, dem Angeklagten mildernde Umstände zuzubilligen. Ich würde dieser Auffassung, soweit sie sich in vertretbaren Grenzen hielte, nicht widersprechen.«
Ich versuchte, irgendetwas zu denken, aber es gelang mir nicht. Eine harte Hand rüttelte mich am Arm.
»Kommen Sie«, sagte der Wachtmeister. »Es ist Mittagspause.«
Kurz vor dem Ende der Mittagspause kam Dr. Herrmann. Sofort gab er mir eine Zigarette und sagte:
»Ich glaube, wir brauchen keine allzu großen Sorgen zu haben. Ein paar Punkte kann ich ihm ganz schön zerpflücken. Verlieren Sie den Mut nicht, Herr Roeder.«
»Nein«, sagte ich. »Ich werde ihn nicht verlieren. Aber ganz ehrlich, Herr Doktor... habe ich eine Chance? Kann ich hoffen?«
»Ich bin kein Hellseher, Herr Roeder. Weder den Richter noch die Geschworenen kann man zwingen, etwas zu glauben, was sie einfach nicht glauben wollen. Nach menschlichem Ermessen allerdings brauchen Sie nichts zu befürchten.«
Wie klammerte ich mich an seine Worte, als man mich wieder in den Sitzungssaal führte! Das Gericht erschien, und wenige Augenblicke später begann Dr. Herrmann mit seinem Plädoyer. Es gelang mir nicht, meine Hände still zu halten, so neugierig und aufgeregt war ich.
Aber schon bei seinen ersten Sätzen wurde ich ruhiger. Er hatte eine sachliche, überlegene Art zu sprechen, und mir kam es so vor, als spreche er besser als der
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