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Mord in Londinium

Titel: Mord in Londinium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lindsey Davis
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her könnte es stimmen.« Flavius Hilaris und Aelia Camilla hatten eine Tochter, die kurz vor der Rebellion geboren war: Camilla Flavia, jetzt strahlende vierzehn, erfüllt mit Kichern und Neugier. Jeder junge Tribun, der in diese Provinz kam, verliebte sich vermutlich in sie, aber sie war sittsam und wurde, wie ich wusste, sehr gut bewacht. Dieses verwahrloste Kind glich Flavia überhaupt nicht; ihr Mitleid erregendes Leben musste ganz anders verlaufen sein. »Es spielt wirklich keine Rolle, ob sie von Römern abstammt«, knurrte Helena mich durch zusammengebissene Zähne an. »Es spielt noch nicht mal eine Rolle, dass sie durch eine Katastrophe mittellos wurde, die nie passiert wäre, wenn Rom seine Pfoten von diesem Land gelassen hätte.«
    »Nein, Liebling.« Mein Ton blieb gelassen. »Was eine Rolle spielt, ist, dass du sie bemerkt hast.«
    »Als schreiender Säugling nach dem Massaker in der Asche gefunden«, meinte der Offizier. Er erfand das, der Drecksack. Helena starrte zu uns auf. Sie war klug und wach, aber sie besaß ein gewaltiges Mitgefühl. Sie hatte ihre Entscheidung getroffen.
    »Die Leute adoptieren ständig Säuglinge, die lebend aus einer Katastrophe geborgen werden.« Jetzt war ich derjenige, der sprach. Auch ich konnte trocken sein. Unter Helenas verächtlichem Blick fühlte ich mich schmutzig, aber ich sagte es trotzdem. »Dem schreienden, aus den Trümmern geborgenen Kind wird ein Heim geboten. Es verkörpert Hoffnung. Neues Leben, unberührt und unschuldig, ein Trost für andere, die in einer zerstörten Umgebung leiden. Doch später wird das Kind leider nur zu einem weiteren hungrigen Mund unter Menschen, die selber kaum satt werden. Man kann verstehen, was als Nächstes passiert. Ein Kreislauf beginnt: Vernachlässigung, die zu Grausamkeit führt, dann zu Gewalt und den schlimmsten Arten unzüchtigen Missbrauchs.«
    Das Mädchen hatte den Kopf auf ihre dreckigen Knie gesenkt. Ich beugte mich hinunter und berührte Helenas Kopf mit meinen Fingerknöcheln. »Nimm sie mit, wenn du willst.« Sie rührte sich nicht. » Selbstverständlich! Nimm sie mit, Helena.«
    Der Offizier schnalzte tadelnd mit der Zunge. »Unglaublich!«
    Ich lächelte kurz. »Sie nimmt Streuner auf. Sie hat ein Herz so groß wie die Welt. Ich kann mich nicht beschweren. Sie hat auch mich einst aufgenommen.« Und auch das hatte in Britannien begonnen.

XII
     
     
     
    Mir kam es vor, als wären wir stundenlang weg gewesen. Als Helena und ich zur Residenz des Prokurators zurückkehrten, war alles festlich erleuchtet wie nach einem Bankett. Obwohl Hilaris und seine Frau einen ruhigen Haushalt führten, blieb ihnen, solange der Statthalter bei ihnen wohnte, nicht viel anderes übrig, als sich in überseeischer Diplomatie zu üben. Heute hatten sie zum Beispiel Geschäftsleute bewirtet. Helena verschwand, um dafür zu sorgen, dass man ihren Schützling sicher unterbrachte und die Wunden versorgte. Ich warf mich in eine bessere Tunika und ging auf die Suche nach einem Happen zu essen. Da ich Hilaris und Frontinus zur örtlichen Situation befragen wollte, musste ich mich wohl oder übel den verbliebenen Gästen anschließen. Es standen noch Teller mit Feigen und anderen Kleinigkeiten vom letzten Gang des Festmahls herum, das wir verpasst hatten. Ich machte mich darüber her. Die Feigen mussten von hier stammen, waren fast reif, hatten aber keinen Geschmack. Ein vorbeikommender Sklave versprach, mir etwas Substanzielleres zu besorgen, tauchte dann aber nicht mehr auf.
    Mein schwerer Tag in den Kaschemmen Londiniums hatte mich erschöpft. Ich hielt mich im Hintergrund. Ich war als Verwandter des Prokurators vorgestellt worden, was die anderen Gäste ziemlich uninteressant fanden. Weder der Statthalter noch Hilaris gaben preis, dass ich ein kaiserlicher Agent war, noch dass man mich mit der Untersuchung von Verovolcus’ Tod betraut hatte. Wenn nicht die Sprache darauf käme, würden sie den Todesfall überhaupt nicht erwähnen, obwohl es die aufregendste Lokalnachricht sein musste. Die Gäste erhoben sich jetzt von ihren gepolsterten Liegen, bewegten sich durch den Raum, um sich mit anderen Gästen zu unterhalten, nachdem die tragbaren Esstische entfernt worden waren, was allen mehr Platz verschaffte. Als ich eintrat, setzten sie ihre Unterhaltungen fort, erwarteten von mir, mich daran zu beteiligen, wenn ich konnte, oder still dabeizusitzen.
    Ich kann nicht behaupten, dass mir diese Rolle gefiel. Ich würde für keinen Patron

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